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Rheinische Post: Auf den Vizekanzler kommt es an von Sven Gösmann

Düsseldorf (ots)

Als sich vor vier Jahren CDU/CSU und SPD
zusammenfanden, dachten viele Wähler, die große Koalition würde große
Lösungen produzieren. Heute sind wir schlauer: Diese Koalition 
versackte im Ungefähren. Das war ihr Geburtsfehler. Versuchten doch 
beide Partner, einander widersprechende Entwürfe zu vereinen: den 
freiheitlich-sozialen der Union und den etatistischen der 
Sozialdemokraten. Das ärgste Beispiel der Kompromisslerei, die aus 
diesem Dilemma erwuchs, ist der Gesundheitsfonds. Wer immer noch der 
modischen These anhängt, die Unterschiede zwischen CDU/CSU und SPD 
seien marginal, den belehrt ein Blick in das Kleingedruckte dieses 
Konstrukts eines Besseren.
Beide Seiten haben in der großen Koalition derart gelitten, dass die 
Stabilität des Parteiensystems schaden nehmen könnte: Die SPD dürfte 
am Sonntag ihren Status als Volkspartei verlieren, bedroht durch 
gleich zwei Ausgründungen am linken Rand und den Verlust jener 
Helmut-Schmidt-Wähler, die spätestens seit Ypsilanti nicht mehr an 
Schwüre glauben, die Linkspartei sei kein Partner für die SPD. Die 
Union büßte im schwarz-roten Bündnis Profil und Gestaltungskraft ein 
und damit an Faszinination gerade für die Leistungseliten. Ihre 
weitere Sozialdemokratisierung würde auch CDU und CSU in nicht 
gekannte Abgründe schauen lassen.
Deutschland aber steht vor gewaltigen Aufgaben. Mögen die 
unmittelbaren Folgen der Krise auch nicht durchschlagen wie 
befürchtet, so bleiben doch wahre Problemberge: die exorbitante 
Staatsverschuldung. die überfällige Modernisierung der Sozialsysteme,
die Begründung einer intelligenteren und effizienteren 
Energiepolitik, die Kernkraft und andere wichtige Felder der 
Forschung nicht vernachlässigt, die Entwicklung einer international 
verantwortbaren Exit-Strategie für Afghanistan.
Eine Bundesregierung, die diese Aufgaben nicht wieder vertagen will, 
braucht größtmögliche politische Schnittmengen, zumal sich die 
Fliehkräfte einer großen Koalition im Falle einer Neuauflage 
verstärken würden. Schon nach ein, zwei Jahren stünde dieses Bündnis 
auf der Kippe. Zu verlockend wäre es für den linken SPD-Flügel, gäbe 
es mit Grünen und Linkspartei eine Koalitionsoption. Frank-Walter 
Steinmeier ist den Beweis schuldig geblieben, dass er diese 
Entwicklung aufhalten könnte. Er hat stattdessen auf einen 
Verhinderungswahlkampf gegen eine schwarz-gelbe Koalition gesetzt. 
Dies war als Strategie defensiv und dürftig, sind doch die 
schwarz-gelben Koalitionen in NRW, Niedersachsen oder Bayern bislang 
nicht gerade als neoliberale Kampfformationen aufgefallen, sondern 
als eher behutsame Erneuerer. Behalten die Meinungsforscher recht, 
kann Angela Merkel nach dieser Wahl Regierungschefin bleiben. In 
Anlehnung an einen alten Wahlkampfslogan gilt deshalb diesmal: Auf 
den Vizekanzler kommt es an.

Pressekontakt:

Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2303

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