Rheinische Post: Grass' Eskalation
Düsseldorf (ots)
von Frank Vollmer
Zum Instrumentarium der Geschichtsklitterer und politischen Tatsachenverdreher gehört stets die Technik, historische Tabus zu konstruieren, wo keine sind. Das funktioniert besonders zuverlässig, wenn es irgendwie auch um die Zeit des Nationalsozialismus geht. Günter Grass' Gedicht "Was gesagt werden muss" und die selbstgefällige Reaktion des Autors auf die folgerichtige harsche Kritik passen genau in dieses Muster: Wer vorgibt, als Meinungsmärtyrer organisiertes Schweigen zu brechen, dem ist Aufmerksamkeit gewiss. Dass es natürlich möglich ist, Israels Politik zu kritisieren, dass das etwa seitens Deutschlands und der USA auch passiert, nur meist diplomatisch-diskret - das sind störende Fakten. Grass inszeniert auch zuverlässig die zweite Stufe der Eskalation, den NS-Vergleich. In diesem Fall: In Deutschland herrsche "eine gewisse Gleichschaltung der Meinung". Das war angesichts der Logik solcher unseliger Debatten zu erwarten, wird dadurch aber nicht weniger empörend. Der Gipfel der Scheinheiligkeit aber ist der Hinweis, man meine es ja nur gut mit der Kritik, sonst mache man sich der "Feigheit vor dem eigenen Freund" schuldig. Für Israel gilt: Wer solche "Freunde" hat, der braucht keine Feinde mehr.
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