Rheinische Post: Den Zschäpe-Prozess bitte ganz normal
Düsseldorf (ots)
Natürlich ist das Schauspiel des ersten Münchner Prozesstages gegen die Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe ähnlich schwer zu ertragen wie die Gerichtsverhandlungen gegen die linksradikalen RAF-Verbrecher der 70er Jahre in Stuttgart-Stammheim: Emotionen vor und im Gerichtsgebäude, sich widerwärtig bis gleichgültig gebende Angeklagte und zu Beginn ein Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter - das alles weckt düstere Erinnerungen an den deutschen Herbst. Doch das Münchner Verfahren ist trotz aller Peinlichkeiten im Vorfeld die einzig richtige Antwort unseres Rechtsstaats. Mag man als Bürger auch die Faust in der Tasche ballen, wenn die Angeklagten ebendiesem Rechtsstaat buchstäblich den Mittelfinger zeigen, gefragt ist jetzt die kühle, gesetzeskonforme Auslegung des Rechts. Gerade wie unsere offene Gesellschaft mit ihren erklärten Feinden umgeht, definiert ihre Qualität. Frau Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten haben also mitsamt ihrer elf Verteidiger das Recht, jedes Mittel der Strafprozessordnung zu ihren Gunsten zu nutzen. Besonders schwer ist das nach den skandalös ignoranten Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden in der NSU-Mordserie für die Angehörigen der Opfer zu ertragen. Sie haben mit ihrem tapferen, gefassten Auftritt ein Beispiel für uns alle gegeben, wie wir mit Frau Zschäpe und ihren Mittätern umgehen sollten: eindeutig, aber rechtstreu. Es darf eben kein "Jahrhundertprozess" werden, als der er apostrophiert wird, sondern muss ein ganz normaler Prozess sein gegen eine Mörderbande, die bis zum Urteil noch mit dem Zusatz mutmaßlich versehen werden sollte. Auf dem Vorsitzenden Richter Götzl lastet dabei der Druck, das auch von ihm gezeichnete Zerrbild zu widerlegen, er sei ein harter, für ein derartiges Verfahren zu unsensibler Hund. Daran sollten sich im Übrigen auch wir, die prozessbegleitenden Medien, halten. Wenn man die selbstbezogene Erregung etwa der "Frankfurter Allgemeinen" über die Vergabe der Presseplätze gelesen hat, darf man schon den Gedanken haben: Gibt es im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess kein größeres Staatsversagen als das der Münchner Strafkammer bei der Verlosung der Journalistenplätze? Auch der gestern zu beobachtende Kameramob vor dem Gerichtsgebäude sollte rasch Zurückhaltung lernen. Gerade im Ausland, vor allem in den Opfer-Herkunftsländern Griechenland und Türkei, wird das Verfahren genau verfolgt. In Ländern also, für die wir Deutsche ansonsten gern den Schulmeister geben.
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