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Rheinische Post: Kommentar
Ein Datum für Europa = Von Michael Bröcker

Düsseldorf (ots)

Wie können Tod und Trümmer, Vergewaltigung und Vertreibung gleichzeitig für Befreiung stehen? Der 8. Mai 1945 ist auch in seiner schmerzhaften Widersprüchlichkeit zwischen dem Erlebten und seiner (später) entstandenen weltgeschichtlichen Bedeutung für die deutsche Nation historisch. Und doch bleibt die Symbolik richtig. Deutschland wird an diesen Tag denken müssen, wenn es sich heute seiner vitalen demokratischen Institutionen und seiner friedlichen, unverrückbaren Position in der internationalen Gemeinschaft rühmt. Der 8. Mai 1945 ist auch der Tag des demokratischen Aufbruchs. Nur: Was folgt daraus im Jahr 2015? Jede Menge. Deutschland kann in einer Phase neuer Unsicherheit in Europa (Ukraine, Euro) jene Führungsrolle einnehmen, die es als historischen Auftrag 1945 mit auf den Weg bekommen hat. Jene Bringschuld, dass die Nation, die mit ideologischem Rassenwahn Hass säte und Millionen ermordete, nun mit Vehemenz für das friedliche Miteinander in Europa und eine Kultur der Solidarität kämpfen sollte. Dazu gehört etwa eine engagierte Vermittlerrolle in der Ukraine-Krise und auch ein ehrliches Interesse an einer Partnerschaft mit Russland. Gerade Deutschland muss sich gelegentlich zurücknehmen, damit Europa vorankommen kann. Das Ausland fordert uns ja geradezu dazu auf. Weil die politische, wirtschaftliche und kulturelle Macht Deutschlands auch von den Nachbarländern anerkannt wird, kann Deutschland mit gutem Gewissen die Rolle eines sanften Hegemons übernehmen. Führen mit Verantwortung. Die einstigen Gegner wissen doch, dass Deutschland sich die Großmannssucht ausgetrieben hat. Konkret heißt das aber eben auch: Wenn in Brüssel und Berlin über Zuwanderung, Flüchtlingsquoten und griechische Rettungsgelder verhandelt wird, müssen es die Deutschen sein, die den Konsens, die Hilfsbereitschaft und auch die Großzügigkeit betonen. Es ist an Deutschland, dass Europa seine "Fragmentierung und inneren Trennlinien" für immer verliert, fordert zu Recht der deutschstämmige frühere US-Außenminister Henry Kissinger. Es ist eine Konsequenz der nunmehr über Jahrzehnte bewiesenen demokratischen Festigkeit Deutschlands, dass nicht mehr die Frage gestellt wird, wie Europa mit Deutschland umgehen soll. Sondern wie Deutschland mit Europa umgeht. Gerade an diesem 8. Mai sollten wir diese Frage stellen. Der Philosoph Helmuth Plessner hat Deutschland in den 1950er Jahren einmal als "verspätete Nation" bezeichnet. Wie befreiend wäre es wirklich, wenn sich Deutschland nun endgültig an die Spitze einer europäischen Entwicklung stellte?

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