Rheinische Post: Kommentar
Was von Westerwelle bleibt
= Von Michael Bröcker
Düsseldorf (ots)
In Düsseldorf 2001 war Guido Westerwelle auf seinem Höhepunkt. Zugleich offenbarte sich dort, warum seine politische Karriere ein unglückliches Ende nehmen sollte. Auf dem Parteitag in der Landeshauptstadt berauschte sich die FDP an dem Größenwahn ihres Vorsitzenden. Projekt 18. Partei für das ganze Volk. Die Liberalen nominierten ihren Kanzlerkandidaten. Dazu der Börsenboom der Yuppiewelt. Die FDP war Westerwelle. Und es lief gut. Der "Spiegel" titelte: "Generation Guido". Diese Zeit wurde Westerwelle nie wieder los. Das Image des Unseriösen, des Übertriebenen haftete an ihm. Die Westerwelle-FDP, eine schrille Minderheit. Dass der nach Wahlergebnissen erfolgreichste FDP-Chef aller Zeiten so viele Gegner hatte wie keiner seiner Vorgänger, lag auch daran, dass der Bonner Jurist nie so recht wusste, wie das geht mit Maß und Mitte. Guido Westerwelle bekämpfte seinen Minderwertigkeitskomplex mit dem politischen Sendungsbewusstsein. Das war früh erkennbar. Als der Ex-Realschüler auf das Gymnasium wechselte, wählte er das schwierigste Fach: Latein-Leistungskurs. Und bekam Probleme. Später wollte er Künstler werden, obwohl die Lehrer kaum Talent entdeckten. Nur in seiner späteren Karriere glänzte er als Expressionist. Der Franz Marc der Politik. Kräftig, farbig, immer an die Symbolik denkend. Dieser Drang zur großen Guido-Show führte aber auch dazu, dass ihm die Medien und das Publikum nie so viel Aufmerksamkeit geben konnten, wie er Anerkennung brauchte. Guido Westerwelle ist aber auch ein politisches Jahrhundert-Talent. Ein begnadeter Redner, einer, der komplexe Sachverhalte in wenigen Sätzen für alle greifbar machen konnte. Einer, dem man im Bundestag immer zuhörte. Ein richtig guter Demokratielehrer. Einer, der Leidenschaft für die Politik entwickelte und junge Menschen dafür begeisterte. Er war stets hartnäckig, wenn es um die Verteidigung der Freiheitsrechte ging. Dass der Staat sich in den 80er und 90er Jahren zum Vollversorgerwesen aufschwang, der dem entmündigten Bürger seinen Alltag vorschreibt und jeden zweiten Steuer-Euro dafür braucht, hat nach Graf Lambsdorff niemand so klar und konsequent thematisiert. Westerwelle appellierte an die Selbstverantwortung und brachte Begriffe wie Leistungsgerechtigkeit in die Debatte. All das bleibt. Genauso wie die Empfindsamkeit und die Freundlichkeit, die er privat zeigte. Die Masse von Anfeindungen und die Häme, die wohl kein Politiker so über sich ergehen lassen musste, überstand er. Den Kampf gegen den Krebs nicht. Als aufrechter Freiheitskämpfer und passionierter Demokrat bleibt er in Erinnerung.
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