Kommentar
Die Täter sind unter uns = Von Lothar Schröder
Düsseldorf (ots)
Kein Urteil dieser Welt kann zugefügtes Leid jemals ungeschehen machen. Auch keine 23 Jahre Haft, zu denen der Sexualstraftäter und frühere Hollywoodproduzent Harvey Weinstein jetzt in New York verurteilt worden ist. Der 67-Jährige wird möglicherweise den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen. Es wird vielen zumindest Genugtuung verschaffen, dass das Gericht mit seinem Urteil nur sechs Jahre unter der Höchststrafe blieb und damit die Schwere der Schuld anerkennt. Tatsächlich ist dieser Fall etwas Besonderes: Weinstein - ein berühmter Mann! Seine Opfer - viele Filmstars. Und die Zahl der missbrauchten Frauen ist mit mehr als 80 unfassbar. All das führte natürlich zu enormer Aufmerksamkeit und hat mit Me Too eine Bewegung ins Leben gerufen, die weit über Weinstein hinaus wirksam geblieben ist.
Nur einen Fehler dürfen wir nicht machen: Weinstein zu einem Monster zu erklären, so schrecklich seine Taten auch gewesen sind. Weinstein ist ein grausames Beispiel für die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen, die sich überall in der Welt ereignet, noch immer, zu jeder Zeit und in diesem Augenblick. Wir glauben ja alle, in einer aufgeklärten Welt zu leben, in der die Würde und die Gleichberechtigung aller Menschen weitgehend geachtet und gelebt werden. Sexismus aber ist eine geheime Tyrannei, die unsere Gesellschaft vergiftet: Macht wird in ihr exekutiert, Gewalt ausgeübt. Was sich hinter verschlossenen Türen abspielt, ist unerträglich. Und es reicht nicht, sich als Mann für das Verhalten anderer Männer zu schämen. Die Gleichheit aller Menschen zu fordern, ist wohlfeil. Um sie wirklich leben zu können, bedarf es weit mehr als eines prominenten Prozesses mit hohem Strafmaß. Vielleicht stehen wir erst am Anfang einer Aufklärung mit der Erkenntnis: Die Täter sind unter uns.
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