Kommentar: Keinen Millimeter weiter
Düsseldorf (ots)
Man reibt sich die Augen, wenn man die Szene auf der Treppe des Reichstagsgebäudes durch die Brille des Berliner Innensenators Revue passieren lässt. Der Bundestag sei zu keiner Zeit ungeschützt gewesen, verteidigt Andreas Geisel das Polizeikonzept bei der Demonstration am Samstag. Bis vor die gläserne Eingangstür haben es hunderte Protestler, unter ihnen Reichskriegsflaggen schwenkende Neonazis, aber geschafft. In diesem Moment war das Verfassungsorgan Bundestag ungeschützt. Der Staat versagt beim Selbstschutz. Das ist gefährlich und verunsichert Menschen, die mit der eigenen und der Freiheit der anderen achtsam umgehen - und sich in der Corona-Krise solidarisch verhalten. Die Demokratie ist verwundbar. Mehr als jede Diktatur. Denn die Demokratie garantiert Kritikern und Gegnern die Freiheit der Rede, der Meinung, der Versammlung. Um dieses hohe Gut nach der Wiedervereinigung noch zu betonen, wurde das strikte Bannmeilengesetz, das zu Bonner Regierungszeiten galt, 1999 in Berlin abgeschwächt.
Gesellschaft und Politik haben mehrere Möglichkeiten, nun zu reagieren. Die Losung muss sein: Bis hier hin und keinen Millimeter weiter. Zuallererst müssen die bestehenden Regeln auch konsequent - härter - durchgesetzt werden. Zweitens muss abgewogen werden, ob die Bannmeile wieder verschärft werden sollte. Und drittens: Nach wochenlanger Erfahrung wissen die Kritiker der Corona-Maßnahmen nun, dass sie von Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretikern benutzt werden - mit ihren berechtigten Fragen und Zweifeln zum Corona-Krisenmanagement der Politik sollten Demonstranten besser ihren eigenen Weg gehen und nicht mitlaufen. Kritische Köpfe werden in einer Demokratie gebraucht. In einer Diktatur nicht. Das sollte ihnen klar sein.
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