Rheinische Post: Vorsicht, Pannenflut! Leitartikel von Sven Gösmann
Düsseldorf (ots)
Wo anfangen? Beim verunglückten Versuch, mit der Ankündigung einer Mehrwertsteuer-Erhöhung die Ehrlichkeit in Wahlkämpfen wieder einzuführen? Beim mutlosen Verweigern von TV-Duellen? Bei zweimal brutto und netto verwechseln? Bei Parteiführern, die das Recht auf Freizeit höher stellen als das Recht der Kandidatin auf Unterstützung und den Wahlkampf-Auftakt lieber aus dem bequemen Liegestuhl begleiten? Weitermachen mit Spitzenpolitikern, die über Ostdeutschland reden wie über ein besetztes Land? Enden mit hibbeligen Generalsekretären, denen in der Hauptnachrichtensendung des deutschen Fernsehens kein anderes Argument für die eigene Chefin einfällt als: "Wir hatten keinen Besseren"? 37 Tage vor dem wahrscheinlichen Wahltermin präsentieren sich CDU und CSU in schlechter Verfassung. Man zankt sich öffentlich sogar übers Wahlziel will man nun 42 oder 45 Prozent? Dabei wirken solche Zahlen ohnehin mit jeder neuen Wahlkampfwoche anmaßender. Prompt bricht die große Nervosität im bürgerlichen Lager aus. Zu frisch die Erinnerung an die jüngste Wahlkampf-Geschichte: Vor drei Jahren verhalf die Flut dem schon abgeschriebenen Kanzler zum Comeback. Kann ihn dieses Mal eine Welle von Pannen bei der Opposition noch mal an die Macht spülen? Schon loben zitternde Strategen aus der zweiten Reihe laut die Vorzüge einer großen Koalition im Wahlkampf kommt das einer Frischzellenkur für die abgeschlaffte SPD gleich. Jetzt rächt sich die Trägheit der Unions-Spitzen in den vergangenen Monaten: Da kratzten die Umfragen die absolute Mehrheit, Schröder feilte angeblich nur an seinem Nachruhm, Rotfront-Oskar schien ein ungefährliches Hirngespinst. Doch die politischen Mehrheiten in Deutschland sind längst flüchtig wie die Börsenkurse. Gestern oben, heute unten. Deshalb ist nichts unmöglich: Am allerwenigsten ein mätzchenfreier Wahlkampf über die richtigen Schritte, die Deutschland wieder nach vorn bringen. Darüber hat man länger nichts gehört von Merkel, Stoiber und Co.
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