Rheinische Post: Der gute Irrtum
Düsseldorf (ots)
Von Lothar Schröder
Orhan Pamuk irrt. Dieser Satz - so kurz er ist - fällt schwer angesichts des so mutigen wie großen Dichters, der seine Heimatstadt Istanbul lebt, der das Gemisch aus Oxident und Orient, aus Tradition und Moderne in sich trägt. Aber Pamuk, der neue Friedenspreisträger, irrt, wenn er wie gestern in der Paulskirche Europa vor die Wahl von Frieden und Nationalismus stellt. Frieden für den Fall, dass die Türkei EU-Mitglied werde, und feindlicher, islamischer Nationalismus im Falle einer Ablehnung. Die Dialektik stimmt nicht, weil Europa beobachtet, wie es um die Menschenrechte, um die Freiheit von Meinung und Glauben steht. Über eine Mitgliedschaft entscheidet so die Türkei selbst. Sie wird sehr konkret zeigen müssen, dass hinter dem Antrag mehr als nur die Sehnsucht nach dem Westen steht. Aber Orhan Pamuk irrt zu Recht. Denn mit seiner forschen Fürsprache für einen Staat, der ihm selbst nachstellt, hat er Europa eine Aufgabe erteilt. Mehr als bei jedem anderen Bewerber wird der "Fall Türkei" zu einer Prinzipienfrage. Europa wird seine Identität formulieren, seine Grundsätze exakter als bisher beschreiben müssen. Dies ist dann die eigentliche Verfassung, die tiefer schürft, als eine bloß taktische Überlegung zwischen westlicher und islamischer Welt.
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