Rheinische Post: Gott - eine Henne?
Düsseldorf (ots)
Von Jens Voss
Im Matthäus-Evangelium steht als Weh-Ruf Jesu zu lesen: "Jerusalem, Jerusalem! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel" (23,37). Kann man aufgrund dieses Verses nun "Gott als Henne" bezeichnen, so wie es das Faltblatt der rheinischen Kirche kurz und bündig formuliert und sich freuen, weil man eine weibliche Metapher für Gott gefunden hat? Nein. Die "Gott als Henne"-Wendung ist nicht nur unfreiwillig komisch. Sie ist als Deutung fahrlässig, denn die Pointe des Vergleichs gilt dem Vorgang des Versammelns, nicht dem, der da versammelt. Solche Genauigkeit in der Auslegung war für den Protestantismus kirchenbegründend und gipfelte in dem Ruf "sola scriptura" (allein die Schrift). Nun aber muss man sich Sorgen machen, dass ausgerechnet Protestanten das Schriftprinzip mehr und mehr verraten. Es ist schon seltsam, dass niemandem das Skurrile an diesem "Gott als Henne" aufgefallen ist. Mittlerweile scheint der Eifer, Bibel und Liturgie politisch korrekt durchzukorrigieren, viel größer zu sein als sprachliche, exegetische und seelsorgerliche Skrupel. Es wird Zeit, dass Protestanten, die ja angeblich so streitlustig sind, über diesen Trend streiten.
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