VDA - Verband der Automobilindustrie e.V.
VDA-Präsidentin Hildegard Müller: "Wenn wir Änderungen wollen, brauchen die Menschen nicht Verbote, sondern andere Angebote"
Halbjahresbilanz des VDA: Millionenmarke bei E-Fahrzeugen geknackt
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Berlin (ots)
INTERVIEW MIT VDA-PRÄSIDENTIN HILDEGARD MÜLLER
Die deutsche Automobilindustrie leidet immer noch unter der Corona-Pandemie. Das gab der Verband der Automobilindustrie bei der Veröffentlichung seiner Halbjahresbilanz heute bekannt. Im ersten Halbjahr wurden zwar insgesamt rund 1,4 Mio. Pkw neu zugelassen, was einem Plus zum Vorjahr von 15 Prozent entspricht. Doch im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Jahres 2019 waren es etwa 25 Prozent weniger Pkw-Neuzulassungen in Deutschland und damit deutlich unter dem Niveau vor der Pandemie. Allerdings stiegen die Elektro-Neuzulassungen im Juni um 243 Prozent auf 64.800 Einheiten. Insgesamt sind jetzt über 1 Mio. Elektrofahrzeuge neu zugelassen. Wir haben uns mit VDA-Präsidentin Hildegard Müller über die Halbjahreszahlen, den Erfolg bei E-Autos und die bevorstehende IAA in München unterhalten:
1. Frage: Frau Müller, im Januar haben Sie gesagt, das Jahr 2021 entscheidet über die Zukunft der deutschen Automobilindustrie. Wie steht die Branche nach der Hälfte des Jahres da?
Die Branche hat sich jedenfalls ganz klar auf das Thema Transformation ausgerichtet. Wir werden bis 2025 rund 150 Milliarden Euro in die klimaneutrale Mobilität, die neuen Antriebe, die Digitalisierung und anderes investieren. Das zeigt: Wir sind im Wandel. Wir haben das Auto erfunden und ich sage so scherzhaft: Wir erfinden es jetzt wieder neu. Aber, die Herausforderungen sind auch groß für uns. Die Erholung aus der Pandemie ist noch nicht überall angekommen - bei den Herstellern sicher etwas mehr als bei den Zulieferern. Wir liegen in Europa immer noch unter dem Absatzniveau von vor Corona und - das ist jetzt besonders entscheidend - wir stehen natürlich vor wichtigen Wahlen in Deutschland und auch vor wichtigen Entscheidungen in Brüssel. Da wird nächste Woche ein Paket kommen, das die Klimaziele der Kommission im Gesetzgebungsverfahren auch bringt. Da blicken wir natürlich mit großem Interesse drauf. (0:53)
2. Frage: Das Auto wird also weiterhin eine zentrale Rolle spielen?
Ja, das ist, glaube ich, klar! Das Auto wird weiterhin eine sehr zentrale Rolle spielen. Wir werden auch in den nächsten Wochen eine neue Studie zeigen, in der deutlich wird, dass mehr als 80 Prozent der Menschen das Auto für die Gestaltung ihres Alltags brauchen. Es geht also um Teilhabe. Und über dieses Thema müssen wir halt reden. Wenn wir Änderungen wollen, brauchen die Menschen natürlich nicht Verbote, sondern andere Angebote, die ihnen diese Teilhabe auch möglich machen: zur Arbeit zu kommen, die Familie zu organisieren, die Einkäufe - was auch immer alles im täglichen Leben so ansteht. Wir wissen das ja alle gut. Dafür ist das Auto nach wie vor ein sehr zuverlässiges Medium. Und dieses Momentum muss man akzeptieren, auch bei der Frage, wie sich Mobilität verändert. Natürlich haben wir große Veränderungen, gerade in Städten, aber wir müssen auch an die Menschen in ländlichen Räumen denken und dürfen hier nicht mit verkürzten Lösungskonzepten kommen. (0:48)
3. Frage: Über 1 Million Elektrofahrzeuge sind hierzulande zugelassen. Dafür hinkt die Ladeinfrastruktur gehörig hinterher. Was muss schnell passieren?
In der Tat: Über eine Million Fahrzeuge elektrisch ist ein großer Erfolg. Aber die Frage, die die Menschen beim Kauf eines Autos bewegt, ist zuallererst: Wo lade ich? Und die Schere klafft immer weiter auseinander. Wir müssten im öffentlichen Raum zum Beispiel rund 2.000 Ladepunkte pro Woche zubauen, es sind aber nur 300. Diese Kluft zeigt, dass wir eine große Aufgabe haben. Je höher und anspruchsvoller jetzt auch die Ziele der EU sind, desto wichtiger diese Frage der Ladesäulen - privat, beim Arbeitgeber, im öffentlichen Raum, in Einkaufszentren. Das ist eine große Infrastrukturleistung, die nicht von den Automobilherstellern kommen kann, sondern dafür ist Stromnetz notwendig, dafür ist auch grüner Strom notwendig. Und all diese Infrastrukturvoraussetzungen kranken in Deutschland und erst recht in Europa. (0:45)
4. Frage: Was fordern Sie von der EU?
Wir haben letzte Woche, glaube ich, einen richtigen Vorschlag von Kommissar Breton bekommen, der gesagt hat: Eigentlich muss die EU, wenn sie höhere Flottengrenzwerte gibt, das heißt, höhere Grenzwerte, um Elektroautos in den Markt zu bringen, muss sie die Mitgliedstaaten auch zu einer entsprechenden Ladeinfrastruktur anweisen. Man kann nicht nur Ziele zum Verkauf von Elektroautos setzen, sondern muss sich dann auch in den Mitgliedstaaten fragen: Was tun wir dafür, dass die Menschen auch Vertrauen in diese Technologie schaffen können? Und da sind die Mitgliedstaaten gefordert. Deshalb darf Brüssel zu diesem Punkt nicht schweigen. (0:31)
5. Frage: Wie wichtig ist der Verbraucher, der Kunde, wenn es um Elektromobilität geht?
Ja, er ist entscheidend, weil man zwar Ziele vorgeben kann, aber ob die Autos vom Kunden angenommen werden, das entscheidet sich in der Tat beim Verkauf. Die Fragen, die dort kommen, sind klar: Wie viele Modelle gibt es? Habe ich ausreichend Auswahl? Wie ist mein Mobilitätsverhalten? Kann ich das mit einem Elektroauto machen? Und dann kommt sofort - immer und überall - die Frage: Wie ist es mit der Ladeinfrastruktur? Die Verbraucher müssen diese neue Art der Mobilität annehmen und deshalb muss man sehr konkret überlegen, den Verbraucher auch einzubeziehen in diese Diskussion und ihm nicht nur vorzuschreiben, was er zu tun hat. (0:30)
6. Frage: Die Hersteller und Zulieferer haben große Probleme mit der Lieferung der für die Produktion nötigen Halbleiter. Welche Konsequenzen hat der Halbleiter-Mangel?
Ja, dieser Halbleitermangel bremst leider den Aufschwung aus. Wir haben in der Tat Rohstoffknappheiten, deshalb muss Europa sich auch mit dieser Frage befassen. Wir haben es bei Batterien gesehen, hier gibt es inzwischen Initiativen auf europäischer Ebene, hier sind aber auch die Unternehmen aktiv geworden. Und Halbleiter ist natürlich bedingt - Sie können sich das alle vorstellen, jeder kauft sich Handys, Laptops und andere Dinge - der Bedarf an Halbleitern ist natürlich auch durch Corona explodiert. Wir haben einen Mangel und der bremst derzeit die Erholung kräftig aus. Insgesamt muss Europa sich auch mehr Gedanken um seine Rohstoffabhängigkeiten machen. Ich sage das auch mit Blick auf Wasserstoff oder andere Themen. Also Rohstoff-Außenpolitik ist etwas, was ich mir von der Europäischen Union viel stärker wünschen würde. (0:43)
7. Frage: In nicht einmal drei Monaten ist die Bundestagswahl. Was erwartet die deutsche Automobilindustrie von der nächsten Bundesregierung?
Ja, wir hoffen natürlich, dass die deutsche Politik Impulsgeber und Treiber in Richtung der Europäischen Union ist. Zur Zeit haben wir ganz oft den Fall, dass die Regierungsparteien sich nicht auf eine Linie festlegen können und Deutschland ohne Stimme in Europa ist. Und für uns in Deutschland heißt das jetzt eigentlich den Beweis anzutreten, dass Klimaschutz- und Industriepolitik zwei Seiten einer Medaille sind und sich gegenseitig bedingen. Wir können erfolgreich Klimaschutz betreiben mit einer funktionierenden Wirtschaft, mit Wohlstand und mit Arbeitsplätzen. Und auf der anderen Seite ist es für uns extrem wichtig, dass wir Klimaschutz als Aufgabe ernst nehmen und alles dafür tun, dass das umgesetzt wird. Diese Balance herzustellen, das ist, glaube ich, eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung. (0:42)
8. Frage: Kurz vor der Bundestagswahl findet in München erstmals die IAA statt. Und die wird sich von allen bisherigen ganz gehörig unterscheiden?
Erstmal sind alle Zeichen positiv, dass wir die IAA durchführen können. Wir haben natürlich gute Hygiene- und Infektionsschutzkonzepte, sodass Besucher und Aussteller sicher sein können, auf unsere Messe zu kommen. Das ist erstmal das Wichtigste glaube ich, was man sagen muss. Und dann ist es völlig richtig: Es ist ein neues Konzept, es wird ein Mobilitäts-Dialog, nicht mehr nur ein Auto-Dialog. Wir zeigen natürlich die neusten Entwicklungen: autonomes Fahren, Digitalisierung, Umweltschutztrends, in der Autoindustrie neue Modelle, aber wir werden viel offener, wir diskutieren über die Zukunft der Mobilität in Städten wie in ländlichen Räumen. Mobilität gibt es zum Anfassen, nicht nur auf dem Messegelände, die Besucher können auf Teststrecken testen, wie es ist autonom zu fahren. In den Innenstadtplätzen in München wird diese Veränderung und diese Diskussion erlebbar und erfahrbar sein. Wir freuen uns! Das ist ein ganz neuer und offener Ansatz. Und alle, die mit uns kritisch oder nicht-kritisch diskutieren möchten, sind dort herzlich willkommen und deshalb freuen wir uns sehr, dass wir in September in München sein können. (0:58)
Abmoderation:
Hildegard Müller, die Präsidentin des VDA im Interview. Der Verband der Automobilindustrie hat heute die Halbjahresbilanz veröffentlicht.
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