VDA - Verband der Automobilindustrie e.V.
Der hohe Industrieanteil in Deutschland muss als Chance genutzt werden
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Berlin (ots)
VDA-Präsidentin Hildegard Müller: "Wir brauchen internationales Standing durch einen wettbewerbsfähigen Standort. So schaffen wir Akzeptanz für eine richtige Klimaschutzpolitik!"
EXKLUSIV-INTERVIEW MIT HILDEGARD MÜLLER
Krieg in der Ukraine, massiv gestiegene Energiekosten, anhaltende Knappheiten entlang der Wertschöpfungsketten - die internationalen Automobilmärkte haben ein schwieriges Jahr hinter sich. Und auch 2023 wird nicht weniger herausfordernd: Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Mobilität ist in vollem Gange, gleichzeitig halten die andauernde Inflation und die Furcht vor einer Eskalation der Taiwan-Krise Hersteller und Zulieferer in Atem. Vor diesem Hintergrund forderte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) Hildegard Müller bei der heutigen digitalen Jahrespressekonferenz ein klares Bekenntnis zum Industriestandort Deutschland seitens der Politik. Denn angesichts der Corona-Pandemie und der Energiekrise wurden die schon vorher vorhandenen Standortschwächen Deutschlands schonungslos offengelegt, so die VDA-Präsidentin. Wir haben uns mit Hildegard Müller über das abgelaufene Jahr, ihre Forderungen an die Politik sowie ihre Prognose für 2023 unterhalten.
1. Frau Müller, Krieg in der Ukraine, massiv gestiegene Energiekosten, anhaltende Knappheiten entlang der Wertschöpfungsketten - die Herausforderungen für die Automobilindustrie waren 2022 immens. Wie hat die Branche das vergangene Jahr gemeistert?
2022 war für uns alle herausfordernd, mit ganz neuen Dimensionen, auch durch den Krieg in der Ukraine. Auch 2023 bleibt zu sagen: große Herausforderungen bleiben. Es wird ein Jahr des Standortes. Es geht um die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Ich glaube, das können wir schon zu Beginn dieses Jahres sehr deutlich sagen. (0:17)
2. Wie blicken Sie auf das Jahr 2023? Optimistisch?
Anfang Januar bin ich mit den Prognosen noch etwas vorsichtig. Wir haben ja im letzten Jahr erlebt, wie sich das mit der Prognose entwickelt hat. Wir hoffen natürlich, dass wir eine Besserung bekommen, dass wir jetzt auch politisch die Hausaufgaben gemacht bekommen, die notwendig sind, damit wir relevant bleiben können in Deutschland und in Europa. Und wir hoffen natürlich insbesondere auch, dass wir keine Folgen mehr von Covid oder anderen Katastrophen zu bewältigen haben. (0:22)
3. Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist der Klimawandel. Macht die deutsche Automobilindustrie genug, um die Klimaziele zu erreichen?
Wir übernehmen natürlich ungeheuerliche Anstrengungen. Es gibt große Investitionen, rund 220 Milliarden Euro bis 2026, nur in neue Antriebe und Technologien. Wir wollen mehrfach Verantwortung übernehmen, aber Deutschland muss auch mehr Verantwortung übernehmen. Unsere Werte und Überzeugung in Sachen Klimaschutz, die werden sich international nur langfristig verankern, wenn wir auch als erfolgreiche, weltweit führende Wirtschaftsnation erhalten bleiben. Mit anderen Worten: Nur wenn wir international relevant bleiben, werden wir auch künftig global politisches Gewicht haben und können somit Vorbild für Klimaschutz und Werte sein. Wir brauchen Standing durch einen wettbewerbsfähigen Standort. Wirkung durch Wohlstand und damit dann auch Relevanz. (0:39)
4. Sie fordern immer wieder E-Fuels - viele kritisieren diese Lösung als energieineffizient. Wieso bleiben Sie bei der Forderung?
Wir werden die E-Fuels, die synthetischen Kraftstoffe, alleine deshalb brauchen, weil wir eine ungeheure Menge von Fahrzeugen im Bestand haben. Wir sehen ja, dass der Verkehrssektor Probleme hat, seine Klimaziele zu erfüllen. Das heißt, wir müssen auch Möglichkeiten prüfen, den Bestand an Fahrzeugen einzubeziehen, hier gibt es nur einen Weg Richtung synthetische Kraftstoffe. Ich würde mir wünschen, dass die Politik das endlich auch engagierter angeht. Der Markt entwickelt sich in diesem Bereich, aber auch nur, wenn wir auch politisch die Bereitschaft dazu haben, kann er wettbewerbsfähig sein und die Preise im Zweifel so senken, dass es eine wirkliche Alternative und Ergänzung zum Thema Klimaschutz ist. (0:33)
5. Seit dem 1. Januar werden nur noch batterie- und brennstoffzellenbetriebene Fahrzeuge mit dem staatlichen Umweltbonus gefördert, Hybride gehen leer aus. Was bedeutet diese Entscheidung für die Transformation hin zur E-Mobilität?
Wir glauben, es ist der falsche Zeitpunkt, diese Maßnahmen jetzt vorzusehen. Auch die Elektromobilitätsprämie sinkt ja und läuft bald ganz aus. Wir haben Zeiten generell steigender Kosten. Wir haben damit eine Entscheidung gegen die Verbraucher, die Strompreise sind auf einem Allzeithoch mittlerweile und deshalb halten wir es für den falschen Zeitpunkt. Wir haben das deutlich gesagt. Wir werden uns die Entwicklung genau ansehen müssen und melden uns dann natürlich, wenn wir konkretere Zahlen haben. (0:23)
6. Sie sprechen davon, dass Deutschland und Europa relevant bleiben müssen. Was meinen Sie damit?
Das heißt ganz konkret, dass wir mehr Handelsabkommen abschließen müssen. Weltweit werden jetzt auch Märkte für Rohstoffe, für Energien verteilt, und Deutschland und Europa sind viel zu wenig dabei. Wir müssen Beziehungen weiter entwickeln und ich finde, auch die Lehre aus dem Angriffskrieg Russlands ist eher mit mehr Staaten-Kooperationen anzugehen als mit weniger. Das heißt, ein De-Coupling, wie das einige fordern, eine reine Rückbesinnung auf den eigenen Standort ist, glaube ich, falsch. Es ist friedenspolitisch falsch, es ist aber auch mit Blick auf Wachstum und auf das Thema Klimaschutz falsch, denn wir wollen ja, dass sich unsere Technologien auch verbreiten können und dafür brauchen wir mehr internationalen Handel. (0:35)
7. Was steht denn Abschlüssen von mehr Handelsabkommen im Wege?
Naja, die Politik ist sehr zögerlich. Wir brauchen sehr lange, was diese Abkommen angeht und wir sehen jetzt natürlich, wenn wir die Diskussion zum Beispiel über die Vereinigten Staaten von Amerika sehen und die Programme, die dort stattfinden, mit welcher Geschwindigkeit momentan weltweit Märkte, Rohstoffe, Energien verteilt werden. Das heißt, Deutschland, Europa müssen auch hier an Geschwindigkeit zulegen, ein offenes Bekenntnis zum internationalen Handel, dem Abbau von Barrieren, das ist das Wichtigste, was wir international tun können. Und natürlich auch eine strategische Absicherung der Rohstoffe, die wir brauchen. Wir gehen technologisch einseitige Wege und umso mehr müssen wir darauf achten, nicht auch in Rohstoffen abhängig zu werden. (0:37)
8. Ein wichtiger Handelspartner ist und bleibt auch in Zukunft China. Dennoch heißt es immer wieder, wir müssen uns von China unabhängiger machen - wie sehen Sie die Zukunft mit China?
Die Beziehungen müssen weiterentwickelt werden. Es gibt natürlich auch viele kritische Punkte und wir müssen darauf achten, nicht in einseitige Abhängigkeit zu geraten. Auf der anderen Seite finde ich es aber auch falsch, von einem De-Coupling, also einer Loskoppelung von China zu sprechen. China ist ein wichtiger, internationaler Gesprächspartner, wir müssen im Gespräch bleiben, um zu verhindern, dass Situationen politisch eskalieren, aber man muss China auch als interessanten Markt sehen. Das Wachstum auf anderen Märkten ist nicht entsprechend. Die Finanzierung der Transformation, die wir machen, machen wir natürlich auch aus den Ergebnissen von Auslandsmärkten, und China ist da ganz vorne mit dabei. Gleichzeitig treiben wir Innovationen so voran durch den rasanten Hochlauf der Elektromobilität, der auch in China vorankommt. Also diese Beziehung ist zu beidseitigem Vorteil. Es ist keine einseitige Abhängigkeitsbeziehung und das müssen wir wirklich mit engagierten Diskussionen weiterentwickeln. (0:53)
9. Stichwort Rohstoffe: Der Bedarf bei vielen Rohstoffen ist stark steigend - was muss die Politik, was muss die Industrie jetzt tun?
Rohstoffengpässe zu verhindern ist nicht nur eine geologische Herausforderung, es ist vor allem eine wirtschaftspolitische. Und diese zentrale Erkenntnis muss für mehr politisches Tempo sorgen. Europa braucht jetzt eine Agentur für strategische Rohstoffe, muss mit möglichst vielen Rohstoffpartnerschaften Rechtssicherheit garantieren. Auf der Basis können dann private unternehmerische Aktivitäten ermöglicht werden. (0:21)
10. Die deutschen Strompreise steigen und schaden der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes. Was sind diesbezüglich Ihre Forderungen an die Politik?
Die Strompreise waren schon vor dem Ukraine-Krieg für die Wirtschaft international am höchsten. Und weder die Preise noch der ausreichende Anteil an CO2-freier Energie reichen aus. Weder aktuell noch in den Planungen, um unsere Transformation zu begleiten. Das heißt, wir brauchen eine Standort-Industriepolitik, die auch den Faktor Energiepolitik als wirklich wichtigen Punkt auf die Agenda setzt. (0:22)
11. Sie haben unlängst beklagt, Deutschland und Europe hinken im Wettbewerb um Rohstoffe und Energie hinterher. Welche Gefahren sehen Sie?
Wir haben eine sehr engagierte Strategie in Richtung Elektrifizierung, und diesen Bedarf, den man hat, der muss sich natürlich auch durch die Erzeugungsaktivitäten widerspiegeln. Das heißt, wir brauchen ganz konkret CO2-freien Strom, alles, was möglich ist. Das werden wir in Deutschland alleine nicht schaffen, da bin ich relativ sicher, dass der Zubau erneuerbarer Energien hier nicht ausreichen wird, das heißt, auch hier müssen wir international denken, uns auch globale Märkte sichern. Das heißt nicht nur Öl, LNG oder Kohle in anderen Ländern, sondern für die Zukunft CO2-freien Strom besorgen, auch in anderen Regionen. Der Weltmarkt entwickelt sich hier rasant, er wird verteilt, leider noch weitgehend ohne uns. (0:38)
12. Mitglieder der Gruppe "Letzte Generation" haben für 2023 weitere Aktionen angekündigt. Ist die Art und Weise der Aktionen aus Ihrer Sicht eine legitime Form von Protest?
Das Thema Klimaschutz ist ja ein generationenübergreifendes wichtiges Thema. Es ist auch wichtig, dass es insbesondere die jüngere Generation bewegt, aber es gibt auch nicht nur die "Letzte Generation". Ich finde es falsch sozusagen, in welchen Protestformen auch mit Nötigung und Zwang hier gearbeitet wird, gerade auch aktuell. Ich finde, wir sollten dem ein neues Narrativ entgegensetzen. Eine Politik der Zuversicht, der Innovation, der Forschung, der guten Ausbildung unserer jungen Leute, die Kräfte auf Gestaltung legen und nicht mit Verboten arbeiten. Mit Technologien lässt sich die große Krise, vor der wir stehen, am besten lösen. Und diesen Ansatz würde ich mir mehr wünschen. (0:35)
13. Sie fordern also ein deutlicheres Bekenntnis zur Industrie?
Der hohe Industrieanteil in Deutschland muss als Chance genutzt werden und nicht als kritischer Punkt gesehen werden. Zukunftstechnologien in die ganze Welt zu exportieren ist der größtmögliche Beitrag, den Deutschland zum globalen Klimaschutz leisten kann. Zuversicht und Glaube auch an den Fortschritt, an technologische Revolution in der Energiewende, Gründergeist in der Wirtschaft, Leistungsbereitschaft in der Bildungspolitik. Ich glaube, besinnen wir uns auf diese Kraft der sozialen Marktwirtschaft, dann schaffen wir ein Standing durch unseren Standort und damit auch eine internationale Akzeptanz für eine richtige Klimaschutzpolitik. (0:34)
Abmoderation:
VDA-Präsidentin Hildegard Müller im Exklusiv-Interview. Der Verband der Automobilindustrie hat heute die Jahresbilanz 2022 vorgestellt.
Pressekontakt:
Ansprechpartner:
VDA, Simon Schütz, 030 897842 121
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