Deutscher Bundesverband für Logopädie e. V. (dbl)
NRW-Sprachtests: "Förderfalle" für Kinder mit Sprachstörungen?
Logopäden und Migrantenvertretungen befürchten Nachteile insbesondere für mehrsprachige Kinder
Frechen (ots)
Ab nächster Woche werden in Nordrhein-Westfalen alle vierjährigen Kinder einem Sprachtest unterzogen. Ziel ist es herauszufinden, welches Kind eine Sprachauffälligkeit aufweist. Die auffälligen Kinder sollen dann einem Sprachförderprogramm zugeführt werden.
Dieses Vorgehen wirft aus Sicht des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie (dbl) und der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen (LAGA) NRW zahlreiche Fragen auf. "Das zentrale Problem dieses Vorhabens ist, dass es in dieser Form Kinder mit Sprachauffälligkeiten und Kinder mit echten Sprachstörungen nicht voneinander unterscheiden kann", so die Präsidentin des in Frechen bei Köln ansässigen Deutschen Bundesverbandes für Logopädie, Dr. Monika Rausch. Die Gefahr sei groß, dass Kinder mit behandlungsbedürftigen Sprachstörungen den Sprachförderprogrammen in Kindergärten oder Schulen zugewiesen würden, statt sie einer logopädischen Therapie zuzuführen. Es sei aber wissenschaftlich belegt, dass allgemeine Fördermaßnahmen echte Sprachstörungen nicht beheben können, so Dr. Rausch. "Somit werden genau die Kinder, die am stärksten Hilfe und Unterstützung benötigen, die großen Verlierer sein, weil die Gefahr besteht, dass ihnen die notwendige Sprachtherapie vorenthalten wird", so die dbl-Präsidentin.
"Insbesondere bei Kindern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, wird bereits heute gerne schnell unterstellt, dass mangelnde Sprachanregung, der man mit einer Sprachförderung gut begegnen könne, die Ursache für eine eventuelle Verzögerung der Sprachentwicklung sei", so Tayfun Keltek, Vorsitzender der LAGA NRW. Dabei sind mehrsprachige Kinder von in der Regel angeborenen Sprachstörungen genauso betroffen wie Kinder, die einsprachig aufwachsen. Zwar kommt eine Sprachstörung bei Mehrsprachigen sogar etwas seltener vor, wenn sie aber eintritt, ist sie meist besonders schwer ausgeprägt, da sie in der Regel alle Sprachen betrifft. "Umso wichtiger ist es, möglichst frühzeitig eine genaue Diagnose zu stellen und ggf. eine individuelle Therapie zu beginnen, damit insbesondere Migrantenkinder einen guten Schulstart haben", betont Herr Keltek.
"In der vorliegenden Form werden die Sprachtests in NRW für Kinder mit Sprachstörungen zur 'Förderfalle'", so dbl-Präsidentin Dr. Monika Rausch. Darüber hinaus wiegen sie die Eltern der betroffenen Kinder in einer falschen Sicherheit, nämlich in dem Glauben, die Sprachförderung des Kindergartens sei die richtige Maßnahme gegen die Sprachstörung ihres Kindes. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, wird der Zugang zu notwendiger Therapie erschwert: schon heute berichten viele Eltern, dass Kinderärzte notwendige Sprachtherapien unter Hinweis auf Sprachfördermaßnahmen im Vorschulbereich verweigern.
"Im Interesse der betroffenen Kinder mahnen dbl und LAGA/NRW deshalb bei den politisch Verantwortlichen in Nordrhein-Westfalen eine methodisch saubere und qualifizierte Testung der Kinder an und fordern diese auf, sicherzustellen, dass jedes Kind die Maßnahme erhält, die es braucht", so die dbl-Präsidentin.
Terminhinweis: Expertenhotline Mehrsprachigkeit am 6. März 2007
"Mehrsprachigkeit ist vielversprechend!" lautet das Motto des diesjährigen Europäischen Tages der Logopädie, der am 6. März 2007 begangen wird. An diesem Tag hat der dbl unter der zentralen Telefonnummer 0180 - 53 53 532 eine Expertenhotline geschaltet. Zwischen 15.00 und 21.00 Uhr beantworten Logopädinnen und Logopäden Eltern, Großeltern, Erzieherinnen und anderen Interessierten Fragen rund um das Thema "Mehrsprachigkeit". (Ein Anruf kostet 14 Cent pro Minute aus dem deutschen Festnetz). Weitere Informationen finden Sie unter www.dbl-ev.de
Pressekontakt:
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Augustinusstraße 11a, 50226 Frechen. Weitere Informationen: Margarete
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