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Stuttgarter Nachrichten: zu Glos

Stuttgart (ots)

Die Demontage eines Amtsmüden
Nach seinem Rücktrittsgesuch wird Glos als Wirtschaftsminister 
abgelöst - Nicht nur die Opposition lästert über den Bayern
Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) hat die Bundesregierung
mit seinem Rücktrittsangebot in Schock starre versetzt - nun kommt 
die Union dem Wunsch
des 64-Jährigen doch nach.
Auf diesen Brandherd hätte die Kanzlerin gerne verzichtet. 
Ausgerechnet in der schwersten Konjunkturkrise der Nachkriegszeit 
will ihr Wirtschaftsminister "Michel" Glos hinschmeißen. Das werfe 
kein gutes Licht auf die Verhältnisse in der Union und die 
Führungsstärke von Angela Merkel, räumen nach dem Paukenschlag selbst
Leute aus den eigenen Reihen ein.VON CLAUDIA LEPPING UND TIM BRAUNE
Zwar zählt der Posten in der Koalition zum Hoheitsgebiet von CSU-Chef
Horst Seehofer. Doch Merkel kann kaum tatenlos zusehen, wie aus dem 
Gezänk bei der Schwesterpartei eine handfeste Regierungskrise wird.
Die SPD frohlockt. Offiziell halten sich die Spitzengenossen mit 
Kommentaren noch zurück. Sie verweisen auf den Koalitionsvertrag, 
wonach jede Partei die eigenen Personalien selbst klären darf. 
Insgeheim jubelt die SPD aber über die von Glos ausgelöste jüngste 
Wendung. Passt sie doch genau in das Bild, das die Sozialdemokraten 
von Merkel zeichnen: eine Kanzlerin und Parteivorsitzende, die ein 
gutes halbes Jahr vor der Wahl im eigenen Lager keine Autorität mehr 
hat, vor allem bei der CSU nicht. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter 
Steinmeier mäkelte schon, bevor der Glos-Brief bekannt wurde: "Frau 
Merkel lässt sich von der CSU auf der Nase herumtanzen." Seit der 
glücklose und amtsmüde Glos am Samstag sein Fax an Seehofer schickte 
und danach Merkel anrief, ist das Kanzleramt auf Tauchstation 
gegangen. Die "Bild am Sonntag", der Glos seine Depesche zukommen 
ließ, berichtete, Merkel habe darauf bestanden, dass der frustrierte 
CSU-Mann im Amt bleibt. In Koalitionskreisen wird jedoch für 
unwahrscheinlich gehalten, dass Glos als "lame duck" (lahme Ente) bis
Ende September tragbar ist. So weit wird es wohl auch nicht kommen - 
am Sonntag einigten sich Merkel und Seehofer darauf, den amtsmüden 
Minister abzulösen.
Zunächst lehnte die Kanzlerin das Ansinnen von Glos ab - das Risiko 
einer Kabinettsumbildung mitten im Superwahljahr wollte sie offenbar 
nicht eingehen. Das war schon so, als Verkehrsminister Wolfgang 
Tiefensee (SPD) oder Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) 
unter Beschuss gerieten. Zu Wechseln im Kabinett Merkel kam es nur, 
weil Ex-Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) ausschied, um seine 
kranke Frau zu pflegen. Und Seehofer gab das Ressort für 
Verbraucherschutz und Landwirtschaft auf, um Regierungschef in 
München zu werden.
Erstaunlich ist, dass eine von der Union geführte Regierung den 
schleichenden Bedeutungsverlust des Wirtschaftsministeriums in Kauf 
genommen hat. Hier legte CDU-Übervater Ludwig Erhard den Grundstein 
für die Wirtschaftswunderjahre. Die Treueschwüre für Glos, der in dem
Amt nie richtig ankam, kommen reichlich spät. Tatsächlich durfte das 
im Kern für die Spielregeln der Marktwirtschaft zuständige Haus in 
der Machtpolitik der Koalition meist nur eine untergeordnete Rolle 
spielen.
Als die Banken am Abgrund standen, spannten Merkel und ihr SPD- 
Finanzminister Peer Steinbrück den 480-Milliarden-Euro-Schirm auf. 
Glos stand im Regen. Die Staatsgarantie für alle Sparer verkündeten 
Merkel und Steinbrück. Dabei war es Glos, der frühzeitig vor einem 
Übergreifen der Finanzkrise auf die produzierende Wirtschaft warnte. 
Steinbrück erklärte da noch dem Publikum, die Krise treffe vor allem 
die USA, Deutschland sei gut aufgestellt.
Die Nachricht seines Parteifreundes erreicht Seehofer auf der 
Sicherheitskonferenz in München. Im Kreis der Mächtigen kommt ihm 
nichts anderes als ein Machtwort über die Lippen. Regelrecht angefixt
von seinen so aufwühlenden Treffen mit dem neuen US-Vizepräsidenten 
Joe Biden, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und anderen 
führenden Regierungschefs Europas während der prestigeträchtigen 
Münchner Sicherheitskonferenz, stürzt Bayerns Ministerpräsident 
schließlich aus dem Hotel und fährt direkt in die Staatskanzlei. Dort
erledigt er die Personalie Glos zunächst so, wie es sich für einen 
Machtpolitiker gehört: Er lehnt das Rücktrittsgesuch ab: "Der tritt 
nicht zurück", soll er ein paar Mal mehr zu sich selbst gemurmelt 
haben.
Als bekanntwird, dass Seehofer "der Bitte von Wirtschaftsminister 
Glos nicht nachkommen wird", sitzt der Parteichef längst wieder 
zwischen den Honoratioren der Münchner Tagung. So weit kommt das 
noch, dass Glos ihm das Defilee des Diners vermasselt. Immerhin ist 
Seehofer Gastgeber der Sicherheitskonferenz, ein schlechter, was den 
Umständen geschuldet ist. Irgendwann raunt er dem amerikanischen 
Hünen Biden entschuldigend etwas zu - hat er etwa gesagt, dass es 
Ärger gibt mit einem Parteifreund, der nicht mehr Bundesminister sein
will? Minuten sitzt der Amerikaner unflankiert und entsprechend 
verloren wirkend vor seinen Platztellern und nippt an seinem 
Weißbier. Seehofer krallt sich indes Kabinettsmitglieder des 
bayerischen Landtages und Peter Ramsauer, den Chef der 
CSU-Landesgruppe im Bundestag, und erörtert mit ihnen die Lage.
Denn dass Glos geht, ist nur eine Frage der Zeit - bereits einen Tag 
nach seinem Fax verlautet aus Unionskreisen, auch Seehofer sei mit 
dem Rücktritt von Glos einverstanden. Allerdings wird er wohl 
versuchen, den Zeitpunkt zu bestimmen, um sein Gesicht zu wahren. Den
großen Vorsitzenden zu brüskieren, habe Glos gezielt in Kauf 
genommen, vermuten viele CSU-Politiker. Jeder kann Episoden 
berichten, die vor allem eins belegen: Seehofer und Glos mögen 
einander nicht. Dass der künftige Ex-Wirtschaftsminister ausgerechnet
an diesem Samstag die Schlagzeilen zu beherrschen versucht, nehmen 
ihm einige hier in München übel. "Der wollte dem Seehofer doch die 
Schau stehlen und ihn hier alt aussehen lassen." Norbert Geis, der 
seit fast 20 Jahren für die Christsozialen im Bundestag sitzt, mag so
viel Missgunst nicht wahrhaben. "Es kann doch sein, dass Glos 
bestenfalls früh genug ankündigen wollte, dass er für das nächste 
Kabinett nicht mehr zur Verfügung steht", sagt er.
In der CSU-Bundestagsfraktion erwarten die meisten, dass Glos nun von
sich aus zurücktritt. "Es ist aus meiner Sicht kein Zeichen von 
Verantwortungslosigkeit, dass Glos dies eben nicht sofort getan hat, 
sondern Seehofer um Entlassung gebeten hat", meint Geis. Andere 
lästern über den unbotmäßigen Abgang ihres Wirtschaftsministers. 
"Kann der nicht einmal ordentlich zurücktreten? Dreht der nach dem 
Ärger mit dem Polizisten jetzt vollends durch?" Mitte vergangener 
Woche war der Fahrer des Wirtschaftsministers einem Berliner 
Polizisten über den Fuß gefahren, als der den Wagen mit dem 
CSU-Politiker zunächst nicht passieren lassen wollte.
Wohl fühlte sich Glos in dem Amt eigentlich nie. Immer wieder 
erzählte er, dass er nach dem Rückzieher von Edmund Stoiber 2005 "wie
die Jungfrau zum Kinde" zum Posten des Wirtschaftsministers gekommen 
sei. Die Opposition hielt ihn von Anfang an für eine 
Fehlbesetzung."Schlaftablette auf zwei Beinen", lästerte 
Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn. Und FDP-Vize Rainer Brüderle sah in 
Glos den "Problembären" der Regierung Merkel. Nach außen hin blieb 
der 64-Jährige ungerührt: "Ich brauche keine Schlaftabletten." Oder: 
"Wer austeilen kann, muss auch einstecken können." Doch Menschen aus 
seinem Umfeld berichten, dass Glos dünnhäutiger geworden sei. Die 
ständige Häme habe Spuren hinterlassen. Auch von Angela Merkel war er
enttäuscht. Trotzdem hatte Glos vor kurzem noch versichert, er sei 
gerne Minister: "Wirtschaft ist die spannendste Sache der Welt. Ich 
finde meine Aufgabe hochinteressant und möchte sie nicht missen, auch
wenn oft das Gegenteil verbreitet wird." Jetzt hat er sich selbst auf
"Minister auf Abruf" gesetzt. Eingeholt hat Glos sein eigener Spruch:
"Der Politikbetrieb ist kein Mädchenpensionat."

Pressekontakt:

Stuttgarter Nachrichten
Chef vom Dienst
Joachim Volk
Telefon: 0711 / 7205 - 7110
cvd@stn.zgs.de

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