Stuttgarter Nachrichten: Kreise: Regierung hat sich um Kurnaz aktiv bemüht
Stuttgart (ots)
Die Bundesregierung bezieht erstmals Stellung zu Vorwürfen, ihre rot-grüne Vorgängerregierung habe sich nicht ausreichend für die Freilassung des früheren Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz eingesetzt und sich noch 2005 in den USA um belastendes Material gegen ihn bemüht. Die Stuttgarter Nachrichten (Samstag) zitieren aus einem aktuellen Papier aus Regierungskreisen, das der Zeitung vorliegt: "Die (damalige) Bundesregierung hat sich aktiv um Kurnaz bemüht" und "sich bei zahlreichen Gelegenheiten gegenüber amerikanischer und türkischer Seite für ihn eingesetzt", wollte aber, dass er in die Türkei gebracht wird.
Das deutsche Ausländerrecht habe unter Sicherheitsgesichtspunkten die Prüfung verlangt, ob ein Ausländer den Terrorismus unterstützt. Diesem gesetzlichen Auftrag sei die Bundesregierung im Rahmen der präventiven Gefahreneinschätzung nachgekommen - "nicht mehr und nicht weniger." Seit dem 11. Oktober 2001 habe gegen Kurnaz ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung bestanden. Im Mai 2002 hätten deutsche Sicherheitsbehörden die Bundesregierung informiert, dass "bei Würdigung der Gesamtumstände Grund zur Annahme besteht, dass Murat Kurnaz nach Pakistan gereist ist, um von dort aus an der Seite der Taliban in Afghanistan gegen die US-Streitkräfte zu kämpfen".
Noch im Dezember 2005 seien deutsche Verfassungsschutzbehörden davon ausgegangen, dass Kurnaz von islamistischen Kreisen "bis hin zur Teilnahme am notwendigen Jihad" indoktriniert worden sei.
"Die Türkei hat von Anfang an klar gemacht, dass sie sich für Kurnaz verantwortlich fühlt. Sie hat ihn 2002 in Guantánamo aufgesucht und stand in Kontakt mit ihm und seiner Familie", heißt es in dem internen Papier in Regierungskreisen. Den türkischen Behörden sei gelungen, fünf ihrer Staatsangehörigen aus Guantanamo freizubekommen. "Im Fall Kurnaz haben die USA nach türkischen Angaben unter Hinweis auf die besonders schweren Vorwürfe gegen ihn eine Freilassung verweigert." Die Sicherheitsbedenken der USA seien wegen der Person Kurnaz, seines Umfelds und der Zweifel an seiner Darstellung der Pakistanreise entstanden.
Aus der Aktenlage ihrer Vorgängerregierung stelle sich der aktuellen Regierung demnach folgendes Bild: "Die USA beabsichtigten im Herbst 2002, eine Gruppe von Gefangenen freizulassen, gegen die keine erheblichen Sicherheitsbedenken vorliegen." Dies sei zwischen deutschen und amerikanischen Geheimdienstmitarbeitern diskutiert worden - "und hat bei den deutschen Befragern von Murat Kurnaz offenbar den Eindruck erweckt, dessen Freilassung stünde unmittelbar bevor". Tatsächlich aber hätten die US-Stellen im Februar 2003 mitgeteilt, dass Kurnaz' Freilassung nicht beabsichtigt sei.
Bevorzugtes Zielland im Falle einer Freilassung war aus deutscher Sicht demnach die Türkei - dessen Staatsangehörigkeit Kurnaz besitzt und wo sich demnach seine Ehefrau und weitere Familienmitglieder aufhielten. Allerdings wollte Berlin vermeiden, dass Kurnaz dank seines deutschen Aufenthalttitels von der Türkei aus unkontrolliert wieder nach Deutschland einreist, heißt es aus Regierungskreisen: "Wegen gravierender Sicherheitsbedenken der zuständigen Behörden war die Bundesregierung der Meinung, Kurnaz solle nach seiner Freilassung in die Türkei nicht ohne Überprüfung der Sicherheitsbedenken nach Deutschland einreisen." So hätte Kurnaz von der Türkei aus ein Visumverfahren für Deutschland anstreben können, dass deutsche Behörden überprüft hätten.
Kurnaz im Fall der Freilassung als Gegenleistung als V-Mann in der deutschen Islamistenszene einzusetzen, sei eine Überlegung einzelner amerikanischer und deutscher Geheimdienstmitarbeiter gewesen und von der Führung der deutschen Behörden abgelehnt worden.
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