taz-Kommentar von Georg Löwisch über die Festnahmen in der Cumhuriyet-Redaktion
Berlin (ots)
Wir kommen in Deutschland gerne mal auf die Pressefreiheit zu sprechen. Auf Symposien und in Leitartikeln wird über sie nachgedacht. Ob sie nicht tangiert wird, wenn Behörden mauern. Ob sie gefährdet ist, wenn immer weniger Rechercheure immer mehr PR-Leuten gegenüberstehen. Ob sie nicht wackelt, die Pressefreiheit, wenn ein Teil des Publikums den Medien pauschal die Glaubwürdigkeit abspricht. Wichtige Fragen. Aber was Pressefreiheit wirklich bedeutet, davon haben wir am Ende keine Ahnung.
Was Pressefreiheit wirklich bedeutet, erleben jene, denen sie entrissen wird. So wie Akin Atalay, der Verlagschef von Cumhuriyet, in der Türkei die auflagenstärkste jener Zeitungen, die Recep Tayyip Erdogan noch kritisieren. Atalay hat am Montagmorgen erfahren, dass sein Haus durchsucht wurde. Er ist auf Reisen im Ausland, seine Familie befindet sich dagegen in Istanbul. Der Cumhuriyet-Chefredakteur Murat Sabuncu: festgenommen. Dessen Vorgänger Can Dündar: Haftbefehl erlassen. Zwölf weitere Kollegen: in Haft. Die Staatsanwaltschaft wirft Cumhuriyet vor, die PKK und die Gülen-Bewegung zu unterstützen. Anders gesagt: Erdogan terrorisiert die Medien unter dem Vorwand, den Terror zu bekämpfen.
Auch gegen Akın Atalay, den Cumhuriyet-Verlagschef, wurde Haftbefehl erlassen. Was Pressefreiheit bedeutet - er weiß es. Deshalb zitieren wir, was er uns gesagt hat: "Die Anschuldigungen sind so absurd, dass wir nur sprachlos sind. Jeder weiß, dass es sich um Lügen handelt. Das einzige Ziel der Regierung ist, Cumhuriyet komplett zu schließen. Es geht darum, alle kritischen Stimmen in der Gesellschaft zum Schweigen zu bringen. Wir rufen die ganze Welt zur Solidarität mit Cumhuriyet und zum Widerstand gegen diese Ungerechtigkeit auf."
Am Montagmorgen in der Redaktionskonferenz der taz ging es auch um andere wichtige Themen - um Rentenpolitik, um Biolandwirtschaft und deutsche Investitionen in China. Jeden Tag sortiert eine Zeitung nach ihrer eigenen Logik Themen und Ereignisse. Aber der Putsch gegen eine Zeitung, der wir uns verbunden fühlen, sprengt diese Logik. Man erahnt, was Pressefreiheit wirklich bedeutet. Das geht uns nahe. Und deshalb titeln wir in dieser Ausgabe mit einem Zeichen der Solidarität, deshalb berichten wir auf Seite 2 und 3.
Zwar hat Erdogan in der Türkei schon über 160 Medien lahmgelegt, mehr als 120 Journalisten sitzen in Haft. Hürriyet, die auflagenstärkste Zeitung, berichtet schon lange nicht mehr kritisch über die Regierung, sondern wurde zu deren Sprachrohr. Im Staatsfernsehen werden Karten einer Türkei in den Grenzen des späten Osmanischen Reichs präsentiert. Die Presse ist in der Türkei schon lange nicht mehr frei - so wie es eine Demokratie zum Leben bräuchte. Aber viele mutige JournalistInnen schreiben noch. Was sie sehen, was sie denken, was ist. Für sie ist die Cumhuriyet ein Wahrzeichen. Sie ist, 1924 gegründet, die älteste Zeitung des Landes. Sie will die Trennung von Staat und Religion. Erdogan will den Islam als Staatsreligion.
Cumhuriyet heißt übersetzt "Republik". Die Türkei noch als solche zu bezeichnen, als Republik, fällt immer schwerer. Aber um diese Zeitung muss man kämpfen.
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