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Mottarone/Norditalien

Frei von Skrupeln (ots)

Wenigstens warnte der Nachrichtensprecher im italienischen Staatsfernsehsender RAI: Das nun folgende Video könne die Gefühle empfindlicher Zuschauer verletzen, teilte er in der News-Sendung am Mittwochmittag mit. Gleich darauf durfte das Publikum dem Seilbahnunglück vom Mottarone in Norditalien beiwohnen, das 14 Menschen den Tod brachte. Die Überwachungskameras der Bergstation filmten die Kabine auf den letzten Metern, filmten, wie sie sich nach dem Riss des Seils förmlich aufbäumt, dann zu Tal rast und abstürzt.

Der Informationswert des Videos liegt bei null, denn der genaue Hergang des Unglücks ist hinreichend bekannt, der Sensationswert - so haben sich wohl die RAI-Redakteur*innen gesagt - dagegen bei hundert. Und der zählt in Italien auch in vorgeblich seriösen Medien wie dem Staatssender RAI deutlich mehr als in anderen Ländern, etwa in der britischen BBC oder den deutschen Öffentlich-Rechtlichen.

"Witwenschütteln" nennt man diese unappetitliche Form eines Journalismus, der auf die Opfer und ihre Angehörigen keine Rücksicht nimmt, sondern ihnen auf die Pelle rückt, um den Voyeurismus des Publikums zu bedienen. In Deutschland verrichtet vorneweg die Bild diesen Job - in Italien tun es dagegen so gut wie alle Medien. Als dort seit Anfang der 80er Jahre die privaten Berlusconi-Sender stark wurden, erwies sich deren aggressiver Nachrichtenjournalismus schnell als hoffähig.

Schlimmer noch: Er wurde hegemonial. Denn Italiens Staatsfernsehen setzte darauf, die Privaten zu kopieren, um im Wettbewerb um die Einschaltquoten zu bestehen. In Deutschland geschah seinerzeit exakt das Gegenteil: Die Privaten, ob RTL oder Sat.1, bemühten sich um den seriösen Anstrich, den sie von ARD und ZDF abschauten.

Aus allen politischen Lagern hagelt es jetzt harte Schelte für die RAI, und selbst deren Präsident distanziert sich von jenen Redakteur*innen, die frei von Skrupeln das Video ausstrahlten. Doch ändern wird sich nichts, denn niemand brachte den Mut auf, über den Einzelfall hinaus generell das Modell der Krawallberichterstattung infrage zu stellen.

Pressekontakt:

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Franziska Schindler
meinung@taz.de

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