Leitartikel zum Linken-Parteitag, taz am Wochenende vom 19./ 20.06.2021
Berlin (ots)
[...] Der Linkspartei fehlt ein sinnstiftendes Narrativ. Früher gab es zwei selbstverständliche Erzählungen. Die PDS war die Lobbypartei Ost, die Widerstand gegen die Treuhand organisierte. Die Linkspartei war später die Anti-Agenda-2010-Bewegung, die den Verrat der SPD geißelte. Beides sind heute ausgewaschene Muster. Die schrumpfende SPD, die sich zerknirscht von der Agenda-Politik löst, zu attackieren, ist kein abendfüllendes Programm. Und als Frustspeicher Ost ist die ressentimentgeladene AfD besser geeignet als die seriöse, oft brave Linkspartei zwischen Schwerin und Zwickau.
Eher verzweifelt wirkt der Versuch, die Grünen zum Ersatzgegner zu machen. Es ist richtig, den Grünen unter die Nase zu reiben, dass sie ihre sozialen Ziele nie mit der Union erreichen werden. Aber es wirkt unsouverän, am Rand des Abgrunds stehend dem Favoriten, der gerade abhebt, noch ein Häufchen Erde hinterherzuwerfen. Die Grünen im Chor mit Armin Laschet als Benzinerhöhungspartei zu beschimpfen und gleichzeitig in den klimapolitischen Zielen zu überholen, ist wenig überzeugend.
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Wen vertritt die Linkspartei? Die antirasstischen, woken AktivistIinnen in Berlin-Kreuzberg, oder die Krankenpflegerin und den Malocher in der Provinz? Darum tobt ein Kulturkampf, der mit typisch linkem Ernst ausgetragen wird. Linke haben, anders als Konservative, ein intimes Verhältnis zur Wahrheit. Die Linke ist ohne Idee der Menschheitsbefreiung nicht zu denken - leider äußert sich das oft in purer Rechthaberei. Das Bizarre des Kampfes Normalo gegen Gendersternchen ist nun: Wenn in der Linkspartei eine Fraktion diesen Kampf gewinnt, verliert sie ihn gleichzeitig. Denn wenn die Partei sich nur an Unterprivilegierte wendet und die akademische Jugend aufgibt, geht sie unter. Wenn sie sich vor allem zum Sprachrohr flüchtiger sozialer Bewegungen macht, auch. Black Lives Matter oder Malocher - schon die Frage ist falsch. Übrigens ist die Linkspartei keine Arbeiterpartei. Ihre Mitglieder und WählerInnen sind überdurchschnittlich gut ausgebildet (besser als die der Union) und arbeiten meist als Angestellte.
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