All Stories
Follow
Subscribe to taz - die tageszeitung

taz - die tageszeitung

Wer im Glasstadion sitzt/Kommentar von Jan Feddersen zum Regenbogen-Verbot der Uefa

München (ots)

Es ist zu einfach, im Regime Viktor Orbáns in Ungarn und im europäischen Fußballverband Uefa die Schuldigen, die fundamentalen Übeltäter dafür zu sehen, dass das Münchner EM-Turnier-Stadion nicht in Regenbogenfarben erstrahlen darf. In Wahrheit ist der viel zu hysterische Protest und das grelle Wehklagen über die Uefa, die als Turnierveranstalter der Fußball-EM die Verregenbogisierung des Spielplatzes samt illuminierbarer Außenhülle untersagt hat, wohlfeil. Als ob jene, die diese Idee überhaupt ins Spiel brachten, darauf hofften, dass die Uefa sich verweigert und Orbán sich empört.

Richtig ist, dass in Ungarn Gesetze beschlossen wurden, die faktisch alles Queere, ob nun schwul, lesbisch oder trans, aus der Öffentlichkeit, aus Schulen und Bildungseinrichtungen bei Strafe verbannt sehen will. Das Münchner Stadion im Namen von Toleranz als Regenbogen zu inszenieren, käme indes einer Belehrung, einem Pranger gleich, einer Geste, die da sagt: Hey, wir sind die Guten und ihr die Bösen. Stimmt ja womöglich auch, für Ungarns Queers ist das Leben im Heimatland mehr als nur beschwerlich geworden, und das schon seit sehr vielen Jahren, als es noch keine Gesetze für Homo- und Transphobes gab.

Das deutsche Goodwill pro Queer Culture blamiert sich freilich aus der Sache selbst heraus. Klar: In Deutschland, überhaupt Mitteleuropa, gibt es LGBTI-Kulturen, die auch ungarischen Lesben, Schwulen und Trans*­Men­schen vielleicht nicht Paradiesisches verheißen, aber erheblich bessere Lebensumstände schon. Nur: Männerfußball ist zwar die zentrale Sportart, das einzige Lagerfeuer der Republik, an dem sich alle irgendwie versammeln können, doch zugleich gibt es in den Profi-Ligen keinen einzigen offen schwulen Fußballer. Vor diesem Hintergrund ist es doch verwunderlich, mit dem Finger auf osteuropäische Länder wie Ungarn zu zeigen. Ist nicht völlig falsch, aber: Ein Profifußballer in Deutschland, der sich als homosexuell outet, hat seinen Marktwert auf Anhieb um 90 Prozent gemindert. Denn zum Bild dieser Sportart gehört eben auch eine nichtschwule Aura. Wer schwul ist und dies nicht belügt, ist aus dem Spiel so gut wie raus. Insofern: Wendet die Zeigefinger von Uefa und Orbán ab - und zeigt gefälligst auf euch selbst.

Pressekontakt:

taz - die tageszeitung
Susanne Knaul
Telefon: +49 30 25902 255
meinung@taz.de

Original content of: taz - die tageszeitung, transmitted by news aktuell

More stories: taz - die tageszeitung
More stories: taz - die tageszeitung
  • 18.06.2021 – 15:48

    Leitartikel zum Linken-Parteitag, taz am Wochenende vom 19./ 20.06.2021

    Berlin (ots) - [...] Der Linkspartei fehlt ein sinnstiftendes Narrativ. Früher gab es zwei selbstverständliche Erzählungen. Die PDS war die Lobbypartei Ost, die Widerstand gegen die Treuhand organisierte. Die Linkspartei war später die Anti-Agenda-2010-Bewegung, die den Verrat der SPD geißelte. Beides sind heute ausgewaschene Muster. Die schrumpfende SPD, die sich ...

  • 17.06.2021 – 18:01

    Mottarone/Norditalien

    Frei von Skrupeln (ots) - Wenigstens warnte der Nachrichtensprecher im italienischen Staatsfernsehsender RAI: Das nun folgende Video könne die Gefühle empfindlicher Zuschauer verletzen, teilte er in der News-Sendung am Mittwochmittag mit. Gleich darauf durfte das Publikum dem Seilbahnunglück vom Mottarone in Norditalien beiwohnen, das 14 Menschen den Tod brachte. Die Überwachungskameras der Bergstation filmten die Kabine auf den letzten Metern, filmten, wie sie sich nach ...

  • 16.06.2021 – 17:24

    Für Aufklärung disqualifiziert

    Wiesbaden/Hessen (ots) - Es ist nicht einmal eine Woche her, dass Peter Beuth (CDU) geknickt vor die Presse trat. Hessens Innenminister verkündete letzten Donnerstag die Auflösung des Frankfurter Spezialeinsatzkommandos (SEK). 19 aktive Elitepolizisten sollen rechtsextreme Inhalte in einer Chatgruppe geteilt haben. Beuth versprach das große Aufräumen, einen "Neuanfang". Dieser Neuanfang wird nicht stattfinden, so viel ist knapp eine Woche später sicher. Bereits am ...