Ethikrat befragte Experten zur Zukunft der Gendiagnostik
Berlin (ots)
Am 22. März 2012 hat sich der Deutsche Ethikrat im Rahmen einer öffentlichen Anhörung über die neusten technischen Verfahren der Gendiagnostik und ihren Einsatz in der medizinischen Praxis informiert. Hintergrund ist die Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik, die der Ethikrat derzeit im Auftrag der Bundesregierung erarbeitet.
Erhebliche Fortschritte in der molekulargenetischen Forschung haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass genetische Analysen zunehmend zum integralen Bestandteil der klinischen Praxis geworden sind. Experten aus den Bereichen der wissenschaftlich-technischen Entwicklung und der praktischen Anwendung gaben dem Ethikrat zu den neusten Entwicklungen Auskunft.
Zu Beginn führte Karl J. Lackner, Direktor des Instituts für klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin der Universität Mainz, in die Hochdurchsatzverfahren der molekularen Diagnostik (schnelle automatisierte Verfahren zur Analyse einer großen Anzahl an Proben) und die Entwicklung der Sequenzierungstechnik der letzten 30 Jahre ein. Dabei sei festzustellen, dass die Effizienz derartiger Verfahren bei gleichzeitig sinkenden Sequenzierungskosten stetig steige. Ihre Grenzen fänden diese Verfahren derzeit vor allem in der Fehlerquote sowie in der Menge und Interpretation der anfallenden Daten.
Bernd Timmermann, Leiter der Sequencing Core Facility am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin, informierte über technische Details verschiedener Ansätze des "Next Generation Sequencing" und ihrer Anwendung. Auf diesen Verfahren basierende Projekte, wie "1000 Genomes" oder "Onco-Track", haben zum Ziel, Varianzen im Genom und Biomarker für Erkrankungen zu identifizieren und Daten für spätere Simulationen der Zellphysiologie zu sammeln. Entscheidend für die Qualität der Sequenzierung sei die Sequenzierungstiefe. Problematisch sei jedoch, dass auch bei wiederholter Analyse zahlreiche falsch positive Varianten auftreten können.
Als Vertreter des forschenden Pharmazieunternehmens Qiagen GmbH stellte Tobias Ruckes, Senior-Marketingleiter für molekulare Diagnostik Emea in Hamburg, aktuelle Entwicklungen in der personalisierten Medizin im Rahmen einer Biomarker-Diagnostik zur Wahl der geeigneten Therapie vor. Diese Diagnostik werde in manchen Fällen bereits angewandt. Um sie zu optimieren, gehe es darum, weitere Erkenntnisse über das Zusammenspiel verschiedener Biomarker zu gewinnen, damit die heutige Detektion von Einzelmarkern durch multiples Testen ersetzt werden kann.
Daran anknüpfend, betonte Christian Meisel, Leiter der Onkologie und der Translational Medicine für Roche Pharma Research und Early Development in Penzberg, dass sich die pharmazeutische Forschung immer komplexer gestalte, da das Auffinden von Biomarkern und - davon ausgehend - die Entwicklung valider diagnostischer Tests ein langwieriger und schwieriger Prozess sei.
Für Karsten R. Held, den ärztlichen Leiter des Zentrums für Humangenetik in Hamburg, ist die Anwendung der genetischen Diagnostik nur akzeptabel nach dem Prinzip "Beratung - Diagnostik - Beratung". Denn mit der zunehmenden technischen Sensitivität der Tests erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit von Fehldiagnosen und die Erzeugung schwer interpretierbarer Daten. Held zufolge kann die Interpretation eines genetischen Befundes nur zusammen mit der klinischen Untersuchung erfolgen. Zukünftig wird der Erkenntnisgewinn über epigenetische Prozesse entscheidend für die Interpretierbarkeit von Daten und damit für die genetische Diagnostik sein.
Carsten Bergmann, Leiter des Zentrums für Humangenetik der Bioscientia in Ingelheim, legte am Beispiel von Zilienerkrankungen dar, dass es für dieselbe Erkrankung mehrere Ursachen mit teils überlappenden, teils fließenden Übergängen geben kann. Dies bedeute, dass es oft keine überzeugende Korrelation zwischen dem genetischen Befund und der Ausprägung der Krankheit gebe, was eine eindeutige Diagnose in der klinischen Praxis erschwere.
Wera Hofmann, Medical Director der LifeCodexx AG in Konstanz, ging auf die aktuelle Entwicklung eines Verfahrens zur nicht invasiven molekulargenetischen Pränataldiagnostik (PND) ein. Basierend auf der Untersuchung von zellfreier fetaler DNA aus dem mütterlichen Blut, wurde dieses Verfahren bereits erfolgreich für die frühe Diagnostik von Trisomie 13, 18 und 21 getestet. Hofmann wies darauf hin, dass der Test vor allem die Pränataldiagnostik bei Risikoschwangerschaften ergänzen und die Belastung der Schwangeren durch invasive Verfahren reduzieren soll. Hofmann schloss nicht aus, dass sich in Zukunft weitere Anwendungsmöglichkeiten für dieses Verfahren ergeben könnten.
Anja Victor, Biometrikerin bei der Merck KGaA in Darmstadt, referierte über die statistische Analyse und Probleme bei genetischen Assoziationsstudien und multiplen Testverfahren. Aufgrund der oft selektiven Darstellung der Daten würden statistische Ergebnisse in ihrer klinischen Bedeutung meist überschätzt, sodass eine Validierung und Replikation der Ergebnisse unabdingbar sei.
In den beiden Diskussionsrunden interessierten sich die Mitglieder des Ethikrates insbesondere für Fragen der Qualitätssicherung, der Fehleranfälligkeit der Daten sowie für die Kosten der Verfahren. Sie hinterfragten auch die Art und Weise des Umgangs mit überschüssigen Daten und die Handhabung von Aufklärungspflicht und Beratung.
Die Beiträge der Anhörung können unter http://ots.de/LMBKo nachgehört und in Kürze auch nachgelesen werden.
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