Ulrich Tukur: "Ich bin eine asynchrone Persönlichkeit" Antje Schmidt: "Ich hatte das Gefühl, eine Zeitreise zu machen" Tukur und seine Filmehefrau Antje Schmidt in exklusiven Tele 5-Interviews.
München (ots)
Den preisgekrönten Costa-Gavras-Film 'Der Stellvertreter' zeigt Tele 5 in der Nacht vom 21. auf den 22. April um 1.05 Uhr.
Interview Ulrich Tukur:
Tele 5: Herr Tukur, Im 'Stellvertreter' verkörpern Sie den SS-Mann Kurt Gerstein, der mit Hilfe des Papstes die Massenmorde an den Juden stoppen will. Ihre Schauspielleistung ist phänomenal! Was ist Ihnen aus der Zeit der Dreharbeiten in Erinnerung geblieben?
Ulrich Tukur: Eine wunderbare Zusammenarbeit mit Costa-Gavras, eine hochinteressante Zeit in Rumänien, wo ja ein Großteil unseres Films entstand und die lustigen Tage und herrlichen Abende, die ich mit Ulrich Mühe und Mathieu Kassovitz verbracht habe. All das stand sehr im Gegensatz zur düsteren Temperatur des Films.
Denken Sie, man könnte den "Stellvertreter" als Lehrstück über Zivilcourage begreifen?
Zivilcourage war sicher einer der Charakterzüge Gersteins. Er ist aber doch viel widersprüchlicher und abgründiger gewesen, als dass sein Handeln als Lehrstück dafür herhalten könnte.
Warum, glauben Sie, haben einige deutsche Kritiker negativ auf den Film reagiert, der doch so klug wie aufwühlend und noch dazu genial gespielt ist?
Ich glaube, dass wir zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Films immer noch im langen Schatten des Dritten Reiches standen. Es entsprach einfach nicht der Konvention, einen "guten" SS-Mann zu zeigen; das war ein Phänomen, mit dem politisch korrekte Kritiker nicht umgehen konnten. Dass man uns bei einer Podiumsdiskussion in Berlin des zweiten Verrats am Judentum bezichtigte, war symptomatisch und hat mich damals sehr geärgert.
Costa-Gavras hat im Interview gesagt, er sei gut mit Ihnen befreundet. Wie und wann ist diese Freundschaft entstanden und wie pflegen Sie beide diesen Kontakt?
Es hat bereits bei unserem ersten Treffen in München "gefunkt". Ich mochte die ruhige, respekt- und humorvolle Art von Costa ungeheuer, und das hat mir die Ruhe und den Mut vor der Kamera gegeben, Dinge auszuprobieren, die ich mir bei anderen Regisseuren nicht erlaubt hätte. Ich habe dann in all seinen weiteren Filmen Rollen übernommen, und auch wenn sie nicht so bedeutend wie im 'Stellvertreter' waren, war es jedes Mal eine große Freude. Inzwischen bin ich wahrscheinlich so eine Art Maskottchen und spiele auch in Costas nächstem Film auf Kreta. Er ist ein unkonventioneller, hochpolitischer Regisseur und ein ganz und gar herausragender, charmanter Mensch.
Ist es wahr, dass Sie in Tübingen im selben Haus gewohnt haben, in dem Kurt Gerstein auch mal wohnte?
Das war der unheimlichste Zufall, der mir im Leben begegnet ist. In einer Tagebucheintragung Gersteins stand die Adresse seiner Tübinger Wohnung (er hat vorsichtshalber mit seiner Familie Berlin schon in den späten dreißiger Jahren verlassen), und es war dieselbe Straße und Hausnummer meiner Studentenbude, in der ich sechs Jahre gelebt hatte. Von diesem Augenblick an wusste ich, dass mich etwas Seltsames mit Kurt Gerstein verband. Tatsächlich haben mich sein Widerstand und furchtbares Schicksal ganz anders, wohl tiefer berührt als das seines "helleren" Bruders, des großen Theologen Bonhoeffer.
Wenn Sie historische Persönlichkeiten spielen, wie bereiten Sie sich vor?
Lesen, evtl. vorhandenes Film- und Tonmaterial sichten und dann die "Einstiegsluke" in die darzustellende Person suchen; die Punkte, wo man Verständnis, gar eine charakterliche Übereinstimmung spürt und die Phantasie lebendig wird.
Sie haben recht oft historische Persönlichkeiten der jüngeren deutschen Geschichte verkörpert, viele davon Widerständler. Sind Sie selbst ein rebellischer Typ?
Es setzt keinen rebellischen Charakter voraus, um eine solche Person überzeugend zu spielen. Ich bin wohl eher eine "asynchrone" Persönlichkeit. Ich habe nie in das Lebensgefühl meiner Zeit und Zeitgenossen hineingepasst. Ich habe weniger rebelliert als mir meine eigene Welt gesucht. Darüber hinaus bin ich in einer Zeit groß geworden, die drängende, schicksalhafte Entscheidungen und lebensgefährliche Situationen nicht kannte. Deshalb bin ich sehr vorsichtig bei der Beurteilung von Menschen, die in unheilvoller Zeit Verantwortung übernommen haben.
Ihre zu dem Zeitpunkt elfjährige Tochter Lilly spielt im Film Ihre Tochter. Wie war das mit ihr zu drehen? Haben Ihre Töchter schauspielerische Ambitionen?
Es war zauberhaft mit Lilly ein paar Wochen im "wilden" Rumänien zu verbringen, zumal ich die Mädels ja selten sehe, denn sie leben mit ihrer Mutter im neuenglischen Boston. Ich glaube aber, dass sich beide in eine andere, nichtkünstlerische Richtung bewegen.
'Der Stellvertreter' hat Sie gewissermaßen nach Hollywood geführt, zu einer Rolle in Steven Soderberghs 'Solaris' (2002). Würden Sie erzählen, wie es dazu kam?
Ich bekam ein Schreiben von einer deutschen Castingfirma, ich solle doch vier kleine Szenen in eine Videokamera sprechen und dann nach Los Angeles schicken. Es ging um einen Film von Steven Soderbergh mit George Clooney in der Hauptrolle. Da ich für die avisierte Drehzeit bereits unterschriebene Verträge hatte, mich aber Soderbergh sehr interessierte, beschloss ich ein kleines Filmchen zu drehen, das zwar seine Aufmerksamkeit erregen, es aber andererseits unmöglich machen sollte, mich zu besetzen. In der Hauptsache habe ich dann meinen alten Hund gefilmt und hinter der Kamera den Text gesprochen. Eine Woche später kam ein Fax aus Hollywood, in dem stand, dass ich einen sehr talentierten Hund besäße und Herr Soderbergh unbedingt mit mir arbeiten wolle.
Worin unterscheidet sich in Ihren Augen ein Hollywood-Dreh von einer deutschen Produktion?
Alle kochen mit Wasser. Nur, dass mit dem Geld, was in einer US-Produktion allein für das Catering ausgegeben wird, schon ein deutscher Kinofilm produziert werden könnte. Es ist eine riesige Unterhaltungsindustrie mit allen Vor- und Nachteilen. Trotzdem ist das Essen bei französischen Produktionen besser und der Spaß bei den Italienern größer.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Superstar George Clooney empfunden?
George Clooney war ungeheuer umgänglich und sympathisch; wir haben uns später in Venedig noch zweimal getroffen.
In der nächsten Zeit dürfen wir uns auf sechs Filme mit Ulrich Tukur freuen, zuletzt haben Sie in Polen gedreht, wie war die Arbeit?
Da kam mich ein Film besuchen, der immer wieder verschoben worden und eigentlich schon gestorben war. Und ich kriegte eine Partnerin, von der man als Filmschauspieler nur träumen kann: Emily Watson. Ich glaube, dass unter der behutsamen und liebevollen Hand der Regisseurin Marleen Gorris ein ganz großartiger Film entstanden ist. Einer der ersten, der das Leben und Überleben in den Stalinschen Gulags zum Thema hat.
Vor ein paar Jahren haben Sie gesagt: "Ich befinde mich in der Ess- und Trinkphase meines Lebens." Dauert die noch an? Und wie gefällt Ihnen diese Phase?
Außerordentlich. Nur trete ich jetzt bereits in die spirituelle Phase meines Lebens ein, bei andauernder Berücksichtigung meines leiblichen Wohls.
Das Credo von Tele 5 ist der Satz "Wir lieben Kino". Warum lieben Sie Kino?
Weil ein Mensch 'Wilde Erdbeeren' gedreht hat, ein anderer 'Fahrraddiebe' und noch einer 'Unter den Brücken'...
Sie gelten als Universalkünstler und Publikumsliebling. Was bedeuten Ihnen Ihre Preise?
Man macht die Dinge für ein Publikum, und wenn man Aufmerksamkeit erfährt und dafür belohnt wird, ist das eine wunderbare Bestätigung der eigenen Arbeit. Ein Schauspieler, der sich bei Preisen ziert, ist ein bigotter Dodel. Ich für meinen Teil bekomme gerne Preise, vor allem, wenn sie mit einer finanziellen Zuwendung verbunden sind. Am meisten habe ich mich jedoch über den Jazz-Award gefreut, der mir und meiner kleinen Tanzkapelle vor einigen Jahren zugesprochen wurde, obwohl wir nie Jazz gespielt haben, weil wir einfach zu schlecht sind.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Einen Esel.
Interview: Michaela Simon
Interview Antje Schmidt:
Tele 5: Frau Schmidt, Sie spielen in 'Der Stellvertreter' die Frau von Kurt Gerstein. Wie kamen Sie zu der Rolle?
Antje Schmidt: Es gab kein Casting im klassischen Sinne, mit Vorsprechen oder so. Costa-Gavras hat sich mein Demoband angeguckt und mich dann zu einem Gespräch nach München eingeladen.
Erzählen Sie von dem Gespräch und von Costa-Gavras.
Dass "Der Stellvertreter" ein wichtiger Film für mich ist, hat ganz viel mit Costa-Gavras und seiner Persönlichkeit zu tun. Er ist ein sehr zurückhaltender, bescheidener und trotzdem charismatischer Mensch, der mich zutiefst beeindruckt hat. Er hat die Fähigkeit - und diesen Eindruck hatte ich schon bei diesem ersten Gespräch - richtig zuzuhören und seinem Gegenüber das Gefühl zu geben, dass er es wirklich wahrnimmt. Als klar war, dass ich die Rolle spielen werde, habe ich mir alle seine Filme, die ich noch nicht kannte, ausgeliehen und angeschaut. Und mich wahnsinnig auf die Arbeit gefreut.
Wie unterscheidet sich ein internationaler Dreh von einer deutschen Produktion?
Bei großen, internationalen Produktionen ist alles sehr gut durchorganisiert. Aber es kann dir dann natürlich auch passieren, dass, wenn du auf die Toilette musst, dich plötzlich vier Leute begleiten. Weil 'Der Stellvertreter' eine deutsch-französisch-rumänische Co-Produktion war, gab es außerdem die Besonderheit, dass am Set die ganze Zeit vier Sprachen gesprochen wurden, nämlich englisch, französisch, deutsch und rumänisch. Das machte das Ganze manchmal etwas kompliziert.
Wie haben Sie die Dreharbeiten empfunden?
Ich fand sie sehr spannend. Wir drehten ja unter anderem in Bukarest, wo es totale Gegensätze zwischen arm und reich gibt, die man dann teilweise auch auf der Straße sieht. In unserer freien Zeit haben wir Schauspieler das dann alles erkundet. Ich war nach Drehschluss oft mit Uli Mühe, Uli Tukur, Sebastian Koch und dem französischen Kollegen Mathieu Kassovitz unterwegs. Wir sind dann mit dem Auto eine halbe Stunde irgendwohin gefahren und eine Kellertreppe runtergegangen und schon waren wir mitten in einem "Geheimtipp". Dort haben wir die entsprechende traditionelle Kost zu uns genommen, was teilweise in große Gelage ausgeartet ist (lacht). Uli Tukur liebte es, solche Geheimtipps herauszufinden. Er ist ein sehr geselliger Mensch und genießt es, mit vielen Leuten zusammen zu sein.
Sie standen ja fast ausschließlich mit Ulrich Tukur vor der Kamera. Wie war es, seine Frau zu spielen?
Es machte einfach Spaß. Wir waren gleich in der Geschichte drin und es war sofort klar, wir sind jetzt dieses Ehepaar. Diese Frau Gerstein hat es ja wirklich gegeben. Was mich vor allem an ihr interessiert hat, war, dass sie total bei ihrem Mann ist. Sie ist und bleibt an seiner Seite. Das war für mich sehr spannend - zu untersuchen, woher sie diese Hingabe nimmt, was sie bewegt.
Was war Ihr persönliches Highlight bei den Dreharbeiten?
Ich habe es unheimlich genossen, in diese Zeit hineinzutauchen wie in einen Traum. Die Autos, die Einrichtung, das eigene Kostüm - alles ist historisch. Das ist ein ganz irrer Vorgang, man hat plötzlich das Gefühl, eine Zeitreise zu machen.
1997 hatten Sie eine Minirolle in "James Bond 007 - Der Morgen stirbt nie". Wie sah die aus?
Ich spielte die Angestellte eines Autoverleihs, die Bond am Hamburger Flughafen ein Auto vermietet. Der Reiz dabei war, dass ich mit Pierce Brosnan eine Szene drehen konnte, die aber wirklich sehr kurz ist.
Wie war es, mit James Bond vor der Kamera zu stehen?
Die Zusammenarbeit mit Pierce Brosnan war super angenehm. Ich erinnere mich sehr gerne daran. Vor allem, weil auch noch etwas Komisches passiert ist: Mein Gepäck ist in seinem Learjet mit nach London geflogen! Und ich hatte am nächsten Tag einen Fototermin und plötzlich nichts mehr außer meiner Zahnbürste. Die müssen im Hotel aus Versehen meine Tasche in sein Flugzeug gepackt haben. Ich war total aufgelöst, als ich das gemerkt habe, und habe dann sogar noch Pierce Brosnan abgepasst und zu ihm gesagt: 'Meine Tasche muss bei euch mit im Flugzeug sein.' Er sagte nur: 'Ich kümmere mich darum.' Und das hat er dann auch getan.
Ihre Karriere begann mit der Bestsellerverfilmung "Beim nächsten Mann wird alles anders", wo sie gleich die Hauptrolle spielten. Wie sind Sie an die Rolle der Constanze Wechselburger gekommen?
Das war sehr lustig. Ich war gerade mit der Schauspielschule fertig und meine Lehrerin hat mir erzählt, dass die jemanden suchen und ich da mal vorbeigehen und mich vorstellen soll. Ich bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass es sich dabei um eine Hauptrolle handelt, sondern dachte: 'Super, vielleicht springen da ein paar Drehtage raus.' Dann bin ich da hingegangen und zwei Damen fragten mich, ob ich mir das denn alles vorstellen könnte, die Belastung und so weiter. Und ich wunderte mich: 'Wovon reden die eigentlich?' Bis sich herausstellte, dass ich vor der Mitproduzentin und der Casterin saß (lacht). Beim Casting habe ich mich dann so reingeschmissen, dass ich die Rolle bekam. Ich finde es heute noch mutig von den Produzenten, dass die sich getraut haben, die Hauptrolle mit jemand total Unbekanntem zu besetzen. Dieses Riesenglück habe ich in dem Moment gar nicht richtig begriffen.
Im April 2006 wurde der "Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler" in Berlin gegründet. Sie gehörten zu den Gründungsmitgliedern. Wie kam es dazu?
Um diese Interessenvertretung für Schauspieler und Schauspielerinnen zu gründen, brauchte man sieben Gründungsmitglieder. Mein Kollege Hans Werner Meyer rief mich an und erzählte mir, worum es ging und ich sagte sofort: 'Da bin ich dabei.' Weil es ja schon längst überfällig war, dass die Schauspieler in Deutschland sich zusammentun und eine Gewerkschaft gründen. Mittlerweile sind da viele Leute sehr aktiv und haben schon Wichtiges bewegt. Unter anderem, dass die Politiker überhaupt mal darauf aufmerksam geworden sind, dass die Hartz IV-Regelungen bei Schauspielern gar nicht greifen können. Um die Voraussetzungen für Hartz IV zu erfüllen, hat mal eine Kollegin von mir ausgerechnet, müsste sie in zwei Serien durchbeschäftigt sein und zusätzlich einige Nebenrollen haben. Und dann wäre sie tot und bräuchte Hartz IV auch nicht mehr (lacht). Interessant ist, dass solche Sachen bei den offiziellen Stellen gar nicht bekannt waren und dass man die erst einmal ins Bewusstsein bringen musste.
Welche aktuellen Projekte stehen bei Ihnen an?
Gerade bin ich bei Theaterproben in Düsseldorf für Yasmina Rezas neuestes Stück "Der Gott des Gemetzels". Und Anfang Juni ist ein "Polizeiruf" mit mir im Fernsehen zu sehen.
Einige Ihrer Kollegen sagen, dass nach Auszeichnungen die Angebote erst einmal weniger werden. Ging es Ihnen auch so, als Sie 2000 gleich für zwei Filme den Bayerischen Fernsehpreis erhalten haben?
Nein, das ist mir so nicht passiert. Ich habe sogar, während der Preis verliehen wurde, noch gedreht, und konnte deshalb bei der Verleihung nicht dabei sein. Danach habe ich es gerade noch geschafft, in den letzten Flieger nach München zu springen, um rechtzeitig zur Party zu kommen.
Interview: Elke Eckert
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