"Wenn wir überlegen, wer eine Rolle spielen könnte, fallen uns oft nur Tote ein." Die vierfachen Oscarpreisträger Joel und Ethan Coen im exklusiven Tele 5-Interview.
München (ots)
Joel und Ethan Coen über Wunschlisten, Hitchcock-Elemente, schräge Echos und ernste Komödien.
Tele 5 stellt in 'Wir lieben Kino - Das Magazin' am Mittwoch, 1. Oktober um 22.35 Uhr den Film 'Burn After Reading' (ab 2. Oktober im Kino) vor.
Tele 5: Wie suchen Sie die Themen für Ihre Filme?
Joel Coen: Ganz ehrlich? In Fall von 'Burn after Reading' gar nicht. Jedenfalls haben wir am Anfang nur an Schauspieler gedacht. Wir haben tatsächlich eine Liste geschrieben. Ganz oben stand natürlich meine Frau Frances McDormand, die ja in sehr vielen unserer Filme mitspielt. Dann kamen George Clooney, Brad Pitt, John Malkovich, Richard Jenkins. Dann haben wir überlegt: Was machen wir jetzt? Was könnte das für eine Geschichte sein? Lachen Sie nicht! Es war wirklich ganz genau so, auch wenn es sich blöd anhören mag.
Billy Wilder hatte ja eine Liste mit Leuten, mit denen er gern mal zusammenarbeiten wollte. Am Ende seines Lebens hat er erzählt, wer alles darauf stand, mit dem es dann nie zu einer Zusammenarbeit kam. Unter anderem Cary Grant. Haben Sie so etwas auch?
Joel Coen: Ja klar. Auf unserer steht auch Cary Grant drauf. [Lacht]
Ethan Coen: Wenn wir überlegen, wer eine Rolle spielen könnte, fallen uns oft nur Tote ein. Das ist sehr irritierend. Bei 'Burn after Reading' war es Raymond Burr der frühere 'Ironside'-Darsteller, der in Hitchcocks 'Fenster zum Hof" den Mörder spielt. Das wäre toll. Ich würde so gern mit ihm arbeiten. Leider ist er seit 1993 tot.
Joel Coen: Stimmt. Raymond Burrs Name fällt bei uns ziemlich oft. Er scheint die ideale Besetzung für sehr viele Rollen, die wir schreiben. Zum Beispiel war er eine frühe Idee für die Hauptrolle in 'The Big Lebowski'. In 'Burn after Reading' hätte er den CIA-Boss spielen können, den jetzt J.K. Simmons spielt. Da wäre er sicher gut drin gewesen. Nicht, das J.K. nicht gut wäre.
Ethan Coen: Wir haben einmal versucht, Marlon Brando für einen Film zu bekommen - nur um ihn mal persönlich zu erleben. [Lacht] Wir ahnten schon, dass das wohl nicht klappen würde, aber hofften, dass sich wenigstens ein Treffen arrangieren ließe. Aber noch nicht mal das haben wir geschafft.
Wenn Sie einen neuen Film planen, greifen Sie dann auf frühere Ideen zurück, oder fangen Sie bei Null an?
Joel Coen: Manchmal fällt uns etwas wieder ein, woran wir Jahre vorher mal gearbeitet hatten. Und dann wieder sind es spontane Einfälle. Oder jemand gibt uns eine Vorlage, die wir dann in einen Film verwandeln. So war es bei Cormac McCarthys Buch 'No Country for Old Men'.
Tele 5: Gibt es etwas, das den Film 'Burn After Reading' von Ihren anderen unterscheidet?
Ethan Coen: Schwierige Frage. Natürlich versuchen wir immer etwas Neues und wollen jeden Film anders machen. Zumindest war die Dreh-Erfahrung diesmal eine ganz neue. Denn wir konnten zuhause wohnen. Auch wenn der Film in Washington spielt, wurde er größtenteils in New York gedreht. Das war viel entspannter als sonst Wenn man von außen auf den Film draufschaut, könnte man ihn als Spionagefilm bezeichnen. Das haben wir noch nie gemacht.
Waren Sie sich nie ernsthaft uneinig darüber, wie etwas gemacht werden soll?
Joel Coen: Nein, eigentlich nicht. Natürlich gibt es andauend Meinungsverschiedenheiten. Aber die werden dann so lange diskutiert, bis ein Konsens da ist.
Ethan Coen: Zum Beispiel beim Casting. Natürlich hat man verschiedene Meinungen. Aber man kann das diskutieren...
Joel Coen: ...ja, und man würde nicht zusammenarbeiten, wenn nicht der Respekt vor dem anderen da wäre. Wer immer das ist. In einer Zusammenarbeit genügt es, wenn einer recht hat - solange die anderen das dann auch sehen.
Was haben Ihnen die vielen Oscars für 'No Country for Old Men' bedeutet?
Ethan Coen: Überraschend wenig. Als wir die Oscars bekamen, hatten wir schon unsere nächsten beiden Filme finanziert, 'Burn After Reading' und den nächsten, den wir jetzt bald anfangen. Also hatte es keine konkreten Folgen, die wir am eigenen Leib erfahren konnten.
Sie haben viel erreicht, haben viel Erfolg und wirken weiterhin unermüdlich. Können Sie erklären, worin nach 25 Jahren im Filmgeschäft für Sie weiterhin Herausforderungen liegen?
Ethan Coen: Es hat sich nichts geändert. Der Erfolg hat uns nicht beeinflusst. Die Befriedigung liegt woanders. Man dreht keine Filme, um Preise zu gewinnen. Und wir drehen sie auch nicht fürs Publikum.
In Ihren Filmen gibt es immer viele Zitate und Bezüge zu anderen Filmen. Sie sind zwar berühmt dafür, sämtliche solche Referenzen abzustreiten, aber das glaubt Ihnen doch keiner. Das Publikum schaut ihre Filme entsprechend an, sucht Bezüge...
Ethan Coen: Wenn wir solche Bezüge zu anderen Filmen abstreiten, meinen wir das auch so. Ganz offensichtlich steckt etwas in unseren Filmen, das diese Art von Spekulation auslöst. Sehr mysteriös. Diese Tribute und Referenzen, die die Leute erwähnen, können gar nicht da sein - denn wir wissen, dass wir den Film gar nicht kennen, auf den wir uns angeblich beziehen.
Joel Coen: Andererseits gibt es natürlich eine Menge Dinge, die uns inspirieren oder Zitate, die wir in vollem Bewusstsein gemacht haben. Zum Beispiel der Titel unseres Films 'O Brother, where art thou?'. Der stammt, wie jeder Filmkenner weiß, aus 'Sullivan's Travels' einer 70 Jahre alten,Komödie von Preston Sturges, die von einem Hollywood-Produzenten handelt. Im Film hat er ein Projekt, das genau so heißt. Und unser Film bezieht sich auf die 30er Jahre, ebenso wie auf Sturges, da hat das dann gepasst. 'The Hudsucker Proxy' war beeinflusst von Sturges und von Frank Capra - da gibt es definitiv Referenzen. 'Miller's Crossing' war eine Neuinterpretation zweier Novellen von Dashiell Hammett und natürlich sollte der ganze Film wie eine Hammett-Verfilmung aussehen. Aber es gibt immer wieder Leute, die sagen: 'Sie müssen unbedingt an dieses und jenes gedacht haben' - und das kommt mir dann oft sehr seltsam vor. Was ist dieses und jenes? Dieses hab ich nie gesehen, jenes kenne ich nicht!
Wenn ich bei Ihrem neuen Film 'Burn After Reading' jetzt sage: Dieses und jenes haben Sie bestimmt von Hitchcock...
Joel Coen: [Lacht] Oh, wir haben jeden Hitchcock-Film gesehen, der je gemacht wurde. Sehr inspirierend. In unserem allerersten Film, 'Blood Simple' gibt es eine Szene, in der ein Mann neben einer Autobahn steht und unglaublich lange braucht, um einen anderen zu töten. Er stirbt einfach nicht. Am Ende wird er lebendig begraben. Da haben wir an die ähnliche Szene in 'Der zerrissene Vorhang' gedacht. Und eine Treppe wie in 'Burn After Reading', die können Sie in vielen Hitchcock-Filmen finden, ja, aber auch in vielen viktorianischen Stadthäusern, wie wir sie nun mal als Kulisse nutzten.
'Burn After Reading' ist ein Männerfilm. Es gibt nur zwei Frauenrollen. Und es ist eine Komödie, aber gerade Tilda Swinton ist sehr ernst und sehr hart.
Joel Coen: Tilda und Frances verstanden ganz intuitiv, was sie da spielten. Und sie haben ziemlich auf die Tube gedrückt. Spaß und Ernst liegen eng beieinander. Ich denke immer noch an Ihre Frage nach Hitchcock. Bei dem ist es ja ähnlich: Es ist erschreckend und furchtbar, was da passiert. Aber es ist auch lustig. So wie bei 'Der unsichtbare Dritte'. Eine Komödie, die man aber ernst nehmen muss. Natürlich gibt es Hitchcock-Elemente in 'Burn after Reading'. Die sind von uns zwar nicht bewusst eingesetzt. Eher schräge Echos. Aber es ist interessant, darüber nachzudenken.
Interview: Rüdiger Suchsland
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