Montgomery Clift konnte sich keine drei Sätze merken!" - Kamera-Legende Douglas Slocombe im Exklusiv-Interview
München (ots)
'Rollerball', Sa., 21. März, 22.40 Uhr auf Tele 5 'Stille Helden', Sa., 29. März, 11.25 Uhr auf Tele 5
Wenn Regisseure die Magier des Kinos sind, dann war Douglas Slocombe (96) das "Auge" der berühmtesten ihrer Zunft: John Huston, Roman Polanski und Steven Spielberg sind nur einige davon. Ihre Visionen verwandelte der britische Kameramann in bewegte Bilder, die Milliarden Zuschauer bis heute weltweit in ihren Bann schlagen.
Als "unsichtbarer Beobachter" des Publikums hat Slocombe 50 Jahre Filmgeschichte mitgeschrieben. Er entführte in vergangene Zeiten oder in eine düstere Zukunft, hetzte The Fearless Vampire Killers durch schneebedeckte Landschaften oder folgte Indiana Jones bei seinen Abenteuern in entlegene Erdteile. Die Arbeiten mit Regisseur Steven Spielberg gehören zu den Karrierehöhepunkten des ehemaligen Fotoreporters. Immer wieder gern erzählt er vom Dreh, von Harrison Fords waghalsigen Stunts oder wie eine der lustigsten Szenen der Reihe durch Zufall entstand: "Indiana Jones sollte einem Gegner mit seiner Peitsche den Krummsäbel aus der Hand schlagen. Die Sonne ging bald unter, und Harrison Ford versuchte vergeblich, den Säbel mit der Peitsche zu treffen", so Slocombe im Tele 5-Interview: "Irgendwann habe ich bemerkt, dass wir uns beeilen müssen, weil wir nur noch einige Minuten Tageslicht haben. Da hat Steven gesagt, dass Indiana Jones einfach einen Revolver aus dem Gürtel ziehen und den Gegner erschießen soll. Einige Leute am Set haben protestiert, weil Indiana Jones nie einen Revolver benutzte. Aber Spielberg hat gesagt: 'Das ist doch nur ein Film'."
Seit seinem letzten Abenteuer 'Indiana Jones und der letzte Kreuzzug' sind zwanzig Jahre vergangen und Slocombe lebt zurückgezogen mit seiner Frau in London. Im Wohnzimmer stapeln sich Bücher und DVDs. Er sitzt in einem Sessel neben einer Fensterwand, die den Blick auf einen kleinen, mit Bäumen bewachsenen Platz im Stadtteil Kensington frei gibt. Dreimal war der Engländer für den Oscar nominiert, immer ging er leer aus: "Bei 'Julia' haben alle gesagt, dass ich ihn gewinnen würde: Keine Special Effects, keine Raumschiffe - es war pure Kameraarbeit", sagt Slocombe stolz. Stattdessen gewann Vilmos Zsigmond den Preis für 'Unheimliche Begegnung der dritten Art', obwohl ironischerweise Slocombe für den Kollegen bei einer Szene einsprang: "Ich habe später immer gesagt, dass ich Stevens Film am besten verhunzt hätte, dann hätte ich den Oscar gewonnen. Steven hat mir später einen kleinen selbstgemachten Oscar geschenkt".
Nachdenklich wird die Kameralegende, wenn er an seinen Anfänge als Dokumentarfilmer während des Zweiten Weltkriegs in Polen denkt: "Wir haben versucht, mit einem Zug zu fliehen, aber er wurde von einem Flieger angegriffen. Ich bin aus dem Fenster gesprungen und habe mich unter dem Zug versteckt. Bomben explodierten, es gab Maschinengewehrfeuer. Als das Flugzeug weg war, bin ich aus meinem Versteck gekrochen und habe eine junge Frau gefilmt, die getroffen worden war und vor meinen Augen starb. Es war fürchterlich", so Slocombe.
Einen Hass auf die Deutschen hatte er nie - "Unter dem Krieg haben sie genauso gelitten wie alle anderen auch" - und es führte ihn immer wieder gerne nach Deutschland zurück. Besonders München hatte es Slocombe angetan, auch wenn sich die Frau und Assistentin des Regisseurs Helmut Käutner mit ihm beim Dreh von 'Ludwig II. über die Anordnung der Möbel am Set stritt. Bei 'Freud' (1962) folgte Slocombe John Hustons Ruf in die bayerische Metropole und erlebte einen psychisch äußerst labilen und drogenabhängigen Montgomery Clift in der Hauptrolle, "unfähig, sich mehr als drei Wörter zu merken". Also dachte sich Slocombe eine besondere Methode aus: "Ich habe hinter jedem Möbelstück einen Satz versteckt. Wenn Clift dort hinging, konnte er ihn ablesen. Aber leider hat er sich nicht merken können, wohin er gehen musste." Irgendwann zitierte Huston seinen Star zu sich ins Büro: "Sie gingen hinein, schlossen die Tür, und plötzlich hörte man, wie Möbelstücke herum geworfen wurden. Es war unglaublich. Monty schrie: 'Töte mich nicht, töte mich nicht!'" Das dritte und letzte Mal kam Slocombe 1975 nach München, wo er für Aufnahmen des Science-Fiction-Klassikers 'Rollerball' das Olympiagelände zur futuristischen Kulisse umfunktionierte: "Aus der Radrennbahn wurde eine Rollerball-Bahn. Einige der Innenaufnahmen haben wir im BMW-Turm gedreht", sagt die Kamera-Legende zu Tele 5. "Ich war schon immer ein BMW-Fan. Ich habe drei BMWs in meinem Leben gehabt, und einer steht immer noch in der Garage. Aber ich kann ihn jetzt natürlich nicht mehr fahren".
Nicht das hohe Alter aber ist der Grund, warum Slocombe nicht mehr fahren darf: Auf seinem rechten Auge ist er seit einer fehlgeschlagenen Laseroperation blind und mit dem linken erkennt er nur noch Schemen: "Ich vermisse es unheimlich, etwas zu sehen", sagt er im Interview mit dem Spielfilmsender. "Aber mir bleiben die Erinnerungen an die Filme, die ich gedreht habe." Und davon gibt es reichlich: Beinahe ums Leben gekommen wäre Slocombe beim Fliegerspektakel 'Der Blaue Max' (1966), als ein Flugzeug knapp über ihn und seine Kamera hinweg wegfliegen sollte: "Ich fühlte, dass etwas auf meinen Rücken fiel. Ein Flugzeugrad hatte mich getroffen. Ich war blutüberströmt. Wir sind sofort mit einem Helikopter in ein Krankenhaus geflogen", erinnert er sich im Tele 5-Interview. "Wo mich das Rad getroffen hatte, war die Haut komplett aufgerissen. Hätte es meine Wirbelsäule erwischt, wäre ich gelähmt gewesen." Sehr gern erinnert er sich dagegen an den Dreh mit Roman Polanski, der sich bei 'Tanz der Vampire' (1967) in Sharon Tate verliebte: "Im Film gibt es eine Szene, in der Sharon seine Wange mit einem Schwamm berührt und 'weich' sagt. Das ist alles. Ich habe diese Einstellung immer wieder drehen müssen, 20, 30, 40 Mal. Später habe ich gesagt, Roman Polanski hat 40 Takes gedreht und sie dann geheiratet."
Seit er vor ein paar Monaten bei einem Spaziergang gefallen ist und sich dabei den rechten Oberschenkelknochen gebrochen hat, muss er eine Gehhilfe benutzen. Aber das macht ihm nicht so viel aus wie seine zunehmende Blindheit. Als Mitglied des Oscar-Komitees hat er sich jedes Jahr gerne die nominerten Filme angesehen. Darauf muss er jetzt verzichten. Er kann sich zwar die Filme noch anhören, ist dabei aber auf die Arbeitskollegen vom Ton angewiesen, die für Kameramänner generell ein "ein rotes Tuch" seien. "Sie wollen die Mikrophone immer viel zu nah an die Schauspieler halten, und dann stehen die Mikros im Licht und werfen Schatten. Wenn der Kameramann eine Szene mit wehenden Gardinen drehen will, sagen die Tonleute, dass man den Ventilator hört. Wenn der Kameramann mit einem Gasbrenner ein Holzfeuer simulieren will, sagen die Tonleute, dass man das ausströmende Gas hört. Jahrelang habe ich mich mit den Tonleuten herum geärgert. Jetzt höre ich ihrer Arbeit zum ersten Mal zu."
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