Lausitzer Rundschau: Die Angst hat einen Namen Warum Fukushima nicht Tschernobyl ist
Cottbus (ots)
Vom ersten Tag der Atomkatastrophe in Japan an hatte die Angst einen Namen: Tschernobyl. Der Gau von 1986 ist die Projektionsfläche, auf der die Welt nach Erklärungen und Gewissheiten sucht, um den Schrecken von Fukushima fassbar zu machen. Tatsächlich drängen sich Parallelen auf. Da ist die evakuierte Zone rund um die Reaktoren, da sind die Liquidatoren, die das nukleare Feuer bekämpfen. Inzwischen gibt es sogar Planspiele, den Atomschrott in Fukushima unter einem Sarkophag zu begraben, wie es ihn auch in Tschernobyl gibt. Dennoch: Fukushima ist nicht Tschernobyl! Und das hat nicht allein damit zu tun, dass der Gau bislang ausblieb. Die Unterschiede liegen vor allem im Umgang der offeneren japanischen Gesellschaft mit dem Unglück im Vergleich zu der menschenverachtenden Ignoranz, mit der die Sowjetunion 1986 auf die Atomkatastrophe reagierte. Es gibt in Japan viel zu kritisieren. Die Regierung hielt Informationen zurück, die Notfallpläne waren dilettantisch ausgearbeitet. Am Montag räumte der Betreiber des Atomkraftwerks ein, bei den Sicherheitskontrollen geschlampt zu haben. All das ist unverantwortlich und fahrlässig. Für Tschernobyl dagegen fehlen entsprechende Wörter, um über das Unfassbare zu urteilen. Atomtechniker experimentierten damals am Reaktor herum und jagten ihn schließlich in die Luft. Um den Gau einzudämmen und die Katastrophe geheim zu halten, verheizte die Führung "Menschenmaterial". Soldaten mussten wochenlang ungeschützt am offenen Reaktorkern arbeiten. Die Bevölkerung selbst erfuhr offiziell zunächst nichts. Höhepunkt des Zynismus waren die Paraden am 1. Mai, zu denen man fünf Tage nach der Atomexplosion selbst Kinder und alte Leute auf die Straßen schickte - mitten in den radioaktiven Fallout. Diese Unterschiede festzuhalten, ist wichtig. Denn wem die Maßstäbe abhanden kommen, der ist zu keiner rationalen Gefahrenanalyse mehr in der Lage. Deshalb sind auch die hysterischen Reaktionen in Deutschland auf Fukushima so ärgerlich. Keine Frage: Die Atomenergienutzung ist eine Hochrisikotechnologie, aus der wir aussteigen sollten - je früher, desto besser. Gewonnen wäre damit jedoch wenig, solange im erdbebenbedrohten Iran russische Nukleartechniker einen Reaktor auf Betriebstemperatur bringen. Das darf keine Ausrede sein. Bedenken sollten wir es dennoch.
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