Lausitzer Rundschau: Eine verpasste Chance Zur Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union
Cottbus (ots)
Ach, Europa. Schon vergangenes Jahr war darüber spekuliert worden, das Nobelpreis-Komitee könne ein Zeichen setzen - und angesichts der Krise, die den Kontinent auseinanderzureißen droht, daran erinnern, dass es sich bei der Europäischen Union in allererster Linie um ein einzigartiges Friedensprojekt handelt. Mancher hierzulande scheint das vergessen zu haben, aber die Menschen in der früheren jugoslawischen Teilrepublik und dem heutigen EU-Mitgliedsland Slowenien wissen recht gut, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist auf einem Kontinent, der jahrhundertelang von Kriegen verheert wurde. In Zeiten immer neuer Rettungsschirme, Nothilfen und Krisengipfel droht die große europäische Idee, sich wieder in nationalen Egoismen aufzulösen. Die Überzeugung, in schwierigsten Zeiten füreinander einstehen zu müssen - im ureigensten Interesse, wohlgemerkt - ist ins Wanken geraten. An ihre Stelle tritt eine oft populistisch geschürte Angst, von den anderen Europäern wahlweise ausgenutzt oder bevormundet zu werden. Längst überwunden geglaubte nationale Stereotype erleben eine erschreckende Renaissance. In Deutschland geben Politiker zu verstehen, am deutschen Wesen müsse, wenn schon nicht die Welt, so doch zumindest Europa genesen. Andernorts wird die Kanzlerin als legitime Nachfolgerin Adolf Hitlers beleidigt. Kein Zweifel: Europa driftet auseinander. Das Signal, das Oslo aussenden will, ist notwendig und richtig. Und dennoch. Die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees ist auch eine verpasste Chance. Die Jury hat es nämlich versäumt, die Auszeichnung der Institution - wie in der Vergangenheit bereits mehrfach praktiziert - mit der Auszeichnung einer Person zu koppeln, deren Leben und Wirken glaubwürdig für die europäische Idee steht. Dass die EU von vielen Bürgern in erster Linie als anonymer Apparat wahrgenommen wird, ist ja kein Geheimnis. Aber es sind Menschen, die Geschichte schreiben, die Begeisterung wecken und Zweifelnde mitnehmen können. Unter den aktuellen Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten sucht man die großen Europäer allerdings vergebens - von Jean-Claude Juncker, dem Premier des kleinen Luxemburg, vielleicht einmal abgesehen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der ständige Ratspräsident Herman Van Rompuy wirken zu blass, aber ein paar europäische Lichtgestalten sind noch am Leben: Der frühere Kommissionspräsident Jacques Delors etwa wäre ein würdiger Preisträger gewesen - und als geistiger Vater des Euro zudem ein starkes Symbol. Und, ja, auch der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl wäre für die Auszeichnung infrage gekommen. Was er und der verstorbene französische Ex-Präsident François Mitterrand miteinander zustande gebracht haben, wird erst heute so richtig klar, wo es an entsprechender europäischer Führung mangelt.
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