Lausitzer Rundschau: Feilschen um die Wahrheit - Zum Karlsruher Urteil über Deals in Strafverfahren
Cottbus (ots)
Hinter der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steckt eine zunächst einfach klingende, aber dann doch sehr gravierende Frage: Inwieweit darf vor deutschen Gerichten um die Wahrheit gefeilscht werden? Dass dies möglich ist, steht außer Zweifel. Dafür hat der Gesetzgeber 2009 die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen. Doch Richter und Staatsanwälte gehen zu leichtfertig, sogar gesetzeswidrig bei solchen Deals vor. Das ist die klare Ansage aus Karlsruhe an die Justiz. Richter und Staatsanwälte kungeln mit Verteidigern und Angeklagten, um mit einem raschen Geständnis das Verfahren möglichst schnell vom Tisch zu bekommen. Das ist einerseits verständlich: Die Justiz ist überlastet, sie steht unter einem erheblichen Druck, möglichst effizient zu arbeiten, während die Zahl der Verfahren wächst. Es fehlt zugleich an Personal und an Ausstattung. Andererseits stellt sich dann aber die Frage, ob viele Deals nicht den Rechtsfrieden gefährden und die berechtigten Interessen von Opfern verletzen. Genau das schwingt beim Urteil des Verfassungsgerichts auch mit. Wenn laut Experten gedealte Geständnisse oft an der Wahrheit vorbeigehen, aber die Strafe um bis zu 30 Prozent milder ausfällt, muss man klar sagen: Es kann nicht im Interesse von Opfern sein, dass Täter aus Gründen der juristischen Arbeitserleichterung mit milderen Strafen davonkommen. Denn noch gilt in Deutschland der Grundsatz, dass ein Täter so bestraft wird, wie es der Schwere seiner Tat und damit seiner Schuld entspricht - auch wenn es für die Strafzumessung seit jeher Spielräume gibt. Zwischen dem hehren Rechtsanspruch eines angemessenen Urteils und der Wirklichkeit besteht jedoch mittlerweile eine so große Kluft, dass Karlsruhe die Notbremse zieht. Noch etwas kommt hinzu: Ein Deal ist auch nicht immer im Sinne eines Angeklagten. Dann nämlich nicht, wenn er tatsächlich unschuldig ist. Das soll nicht heißen, dass Absprachen gänzlich falsch sind. Gerade bei umfassenden und langwierigen Umwelt- oder Wirtschaftsdelikten haben sich solche Vereinbarungen durchaus bewährt, mitunter sind sie sogar sinnvoll. Aber auch hier gilt: Der Eindruck einer Zweiklassengesellschaft vor Gericht kann sich durchaus aufdrängen, wenn bei Verfahren gegen ehemalige Wirtschaftsbosse wie Rolf Zumwinkel, Josef Ackermann oder Peter Hartz am Ende das Scheckheft ein Urteil bestimmt. Bei Deals bedarf es also besonderer Sorgfalt, Richter und Staatsanwälte müssen sich an die rechtlichen Vorgaben halten. Ansonsten muss der Gesetzgeber seine Regeln präzisieren, oder anders: verschärfen.
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