Lausitzer Rundschau: Auf Gedeih und Verderb - Die Grünen verabschieden ihr Wahlprogramm
Cottbus (ots)
Die Grünen sind eine disziplinierte Partei. Mit viel Fleiß und Akribie hat sie sich drei Tage lang an ihrem Wahlprogramm abgearbeitet. Sicher, der beharrliche Kampf um Silben, Sätze und Spiegelstriche ist ein linkes Markenzeichen. Aber im Gegensatz zur Linkspartei, die am Ende nur Recht behalten will, möchten die Grünen endlich wieder mitregieren. Deshalb war der Parteitag in Berlin auch reich an Mahnungen, bei aller Sehnsucht nach mehr Gerechtigkeit nicht in einen Rausch überzogener Forderungen zu verfallen. Da werden Erinnerungen wach. Man denke nur an ihren Fünf-Mark-Beschluss für den Liter Benzin, der die Grünen vor nunmehr 15Jahren fast in den politischen Abgrund getrieben hätte. Von solchen Ungeheuerlichkeiten ist die Partei heute ziemlich weit entfernt. Auch deshalb, weil sich der Erregungs-Maßstab für politische Provokationen verändert hat. Die Gesellschaft, vor allem ihre viel beschworene Mitte, ist eher nach links gerückt - nicht zuletzt dank grüner Politik. Nur so lässt sich auch erklären, dass die Partei ihren potenziellen Wählern jetzt einiges zumuten will. Anhebung des Spitzensteuersatzes, Abschaffung des Ehegattensplittings, Rückkehr zur Individualsteuer auf Kapitalerträge. Das und noch viel mehr sind Maßnahmen zu Lasten von Besserverdienern. Und die machen bekanntlich vorzugsweise ihr Kreuzchen bei den Grünen. Allein, es spricht wenig dafür, dass sich an ihrer grünen Vorliebe nach diesem Parteitag etwas ändern könnte. Wenn es dem sozialen Frieden dient, dann sind Grünen-Wähler zumindest nach einschlägigen demoskopischen Erhebungen auch bereit, tiefer in die Tasche zu greifen. Umverteilung ist für sie nicht unbedingt ein Schreckgespenst. An den Grünen sollte ein Regierungswechsel im Herbst in Berlin also am wenigsten scheitern. Das Problem sind die Sozialdemokraten. Was nützen die schönsten programmatischen Gemeinsamkeiten mit den Genossen, wenn die SPD am Ende nicht genügend Stimmen für eine rot-grüne Koalition auf die Waage bringt? Genau danach sieht es derzeit aus. Bei den Grünen stöhnt man auch über einen tollpatschigen Kanzlerkandidaten Steinbrück und das Unvermögen der Sozialdemokraten, die Fülle schwarz-gelber Schwächen in rot-grüne Stärken zu verwandeln. Trotzdem haben sich die Grünen der SPD auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Zumindest auf dem Papier. Ganz oben in ihrem Programm steht das klare Bekenntnis zu einem gemeinsamen Bündnis nach der Wahl. Ob das wirklich so klug ist, darf bezweifelt werden. Erstens, weil sich auch die Union nicht gerade nach einer schwarz-gelben Neuauflage sehnt. CDU/CSU und FDP haben sich in den letzten vier Jahren schlicht auseinander gelebt. Zweitens, weil es vom Atomausstieg bis zur Abschaffung der Wehrpflicht längst auch inhaltliche Berührungspunkte zwischen Union und Grünen gibt. Genau deshalb haben Grünen-Wähler heute auch weniger Berührungsängste gegenüber der Union als früher. Und drittens, weil der SPD, ginge alles schief, immer noch die Möglichkeit bliebe, als Junior-Partner in eine Große Koalition einzutreten. Warum sollten die Grünen dem eigentlich tatenlos zusehen? Das alles zusammengenommen ist sicher noch kein zwingender Grund für eine schwarz-grüne Koalition. Aber Demokratie lebt nicht von politischer Ausschließeritis, sondern durch pragmatisches politisches Handeln. Ein Schwenk der Grünen zur Union für den Fall, dass es am Wahlabend zu Rot-Grün rechnerisch nicht reicht, wäre vielleicht die provokanteste Zumutung seit ihrem Fünf-Mark-Beschluss vor 15Jahren. Aber untergegangen ist die Partei deshalb nicht. Ganz im Gegenteil. Sie hat sich wie kaum eine andere berappelt.
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