Lausitzer Rundschau: Genossen in Therapie Zum Bundesparteitag der SPD in Leipzig
Cottbus (ots)
Sechs Wochen dümpeln die Koalitionsverhandlungen in Berlin jetzt schon vor sich hin. In großen Runden, Arbeitsgruppen und kleinen Untergruppen. Und als wäre das noch nicht nervig genug, wird der Regierungsbildungsprozess nun auch noch von einem SPD-Parteitag gestört. So mögen die meisten Bürger denken. Die Wahrnehmung vieler Sozialdemokraten ist jedoch eine andere. Am 22. September hat die Partei das zweitschlechteste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Und das, obwohl man doch angeblich das beste politische Programm aller Zeiten hatte, wie führende Genossen bis heute behaupten. Dieser Zwiespalt provoziert geradezu eine schonungslose Fehleranalyse und lässt eine Eilentscheidung zugunsten einer künftigen Regierungsteilhabe nicht zu. Für die Führung der SPD, allen voran Sigmar Gabriel, ist das eine Gratwanderung. Einerseits trägt sie die Hauptverantwortung für den Schlamassel. Andererseits darf die Selbstkasteiung nicht so weit gehen, dass die Regierungsoption mit der ungeliebten Union verschüttet wird. In seiner Rede vor den 600 Parteitagsdelegierten in Leipzig hat Gabriel diese Herausforderung angenommen. Das war kein Luftikus, der sich da präsentierte, sondern ein ernster Obergenosse, der den Seinen schwere Kost servierte. Kurz gefasst lautete Gabriels Analyse so: Die wirtschaftliche Kompetenz der SPD ist lau, und in ihrer Paradedisziplin, der Sozialpolitik, ist sie kaum noch glaubhaft. Der Befund deckt sich nicht nur mit Meinungsumfragen in der Bevölkerung. Die SPD-Basis tickt genauso. Schon die letzte Große Koalition zwischen 2005 und 2009 hat sie als Verrat an den sozialdemokratischen Überzeugungen empfunden. Jetzt ist ihre Befürchtung groß, dass sich dies in einer schwarz-roten Neuauflage wiederholt. Das hat viel mit dem unbewältigten Erbe der Agenda 2010 zu tun. Aber auch mit den großspurigen Tönen im Wahlkampf, einen "Politikwechsel" herbeizuführen, der allerdings bei realistischer Betrachtung weder von der Bevölkerung gewollt, noch mit der Union zu machen ist. In dieser Situation hat die SPD zwei Möglichkeiten: als Juniorpartner der Union kleinere Brötchen zu backen oder in die Opposition zu gehen. Dass sich die Partei dort profilieren könnte, ist eine Mär. Denn so links wie die Linke, die dort schon sitzt, kann sie nicht mehr werden. Es wäre ein aussichtsloser Wettlauf. Zumal der verbissene Kampf für mehr Umverteilung, sprich Steuererhöhungen, auch kein Erfolgsrezept ist, wie sich bei der Bundestagswahl gezeigt hat. So ist es an Gabriel, die Partei ideologisch abzurüsten. In Leipzig hat er damit argumentiert, dass bestimmte Veränderungen - siehe Mindestlohn oder doppelte Staatsbürgerschaft - am Ende doch allemal besser seien als überhaupt keine. Und wer trotzdem glaubt, die Chefetage der SPD schiele nur nach Kabinettsposten - der wird auf das ungewöhnlich großzügige Mitsprache- und Entscheidungsrecht der Basis verwiesen. Über einen Koalitionsvertrag hat noch keine Partei ihre Mitglieder abstimmen lassen. Gerade das ist Gabriels Trumpf im Spiel. Sicher, man kann diesen quälend langen Entscheidungsprozess beklagen. Sollten die SPD-Mitglieder am Ende für eine Regierung mit der Union votieren, wären die Koalitionsverhandlungen allerdings nicht nur ein Mittel erfolgreicher Selbsttherapie gewesen. Schwarz-Rot hätte dann auch eine besondere Legitimation. Geht das Votum schief, bricht in der SPD das Chaos aus. Und Gabriel hätte sein Blatt überreizt.
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