Lausitzer Rundschau: Regierungserklärung des Bundeskanzlers
Cottbus (ots)
Ein Jahr nach dem Start der "Agenda 2010", die der widerstrebenden SPD ein Siechtum ohnegleichen bescherte, hat Gerhard Schröder gestern Bilanz gezogen. Er tat dies selbstbewusst und staatsmännisch, wobei er allerdings nicht wirklich bilanzierte, sondern grob skizzierte. Versäumnisse und Unzulänglichkeiten blieben ausgespart. Der Auftritt war typisch: Ein Schuss Arroganz, eine Portion Verdrängung, eine Prise Zuversicht. Ein Cocktail jedenfalls, an dem sich die CDU-Vorsitzende Angela Merkel gestern verschluckte. Vier Tage nach dem Abschied vom Parteivorsitz präsentierte sich Schröder in erstaunlich guter Form. Die Larmoyanz scheint verflogen, der Kampfesmut neu erwacht. Die Sozialdemokraten haben sich ins Unvermeidliche gefügt, die Truppe (Fraktion) steht bei Fuß - obwohl viele Genossen mitnichten der Meinung sind, der rot-grüne Reformkurs sei "alternativlos". Dafür ist die Einsicht gewachsen, dass die SPD zu diesem Kanzler keine Alternative hat: Hans Eichel ist entzaubert, Wolfgang Clement spielt den Irrwisch. Nach einem Jahr der rot-grünen Bitternis liegt die Vermutung nahe, dass Schröder zwar noch nicht ganz verstanden hat, aber zu verstehen beginnt. Las sich die Agenda im März 2003 noch kalt wie ein neoliberales Brevier, so hat der vom Wähler abgestrafte Regierungschef (verlorene Landtagswahlen, miserable Umfrageergebnisse) nun wärmende Worte gefunden, Verständnis geäußert, die Seele gestreichelt. Mehr für die Kinder will er tun, die Bildung verbessern, die Mitbestimmung weiter entwickeln, dem Wort Reform "wieder einen guten Klang geben". Halleluja! Sogar die bösen Bosse hat er attackiert, indem er deren Millionen-Abfindungen kritisierte und "Moral und Anstand" anmahnte. Spätestens an dieser Stelle war klar, dass Schröder gewillt ist, auf die vergräzten Reform-Opfer zuzugehen. Das ist auch notwendig, zumal die Agenda keineswegs gebracht hat, was sich seine geistigen Väter erhofft hatten: Die Steuerreform ist weitgehend verpufft, die Gesundheitsreform zeigt bloß zähe Reaktionen auf der Beitragsseite, die Hartz-Projekte (Arbeitsmarkt und Vermittlung) wollen nicht greifen. Und doch geben sogar Kritiker, Wirtschaft und Opposition zu, dass der Umkehrschub wichtig und richtig war. Der Kanzler hat jetzt die Chance, das Werk in positivem Sinne zu ergänzen. Allerdings darf er dann nicht nur lamentieren über die obszöne Bereicherung in manchen Chefetagen, dann muss er auch ran an den Speck. Die Opposition hat sich gestern schwach in Szene gesetzt. Angela Merkel biss an den falschen Stellen zu und leistete sich einen Freudschen Versprecher ("die Zerstrittenheit der Opposition"). So was wirkt nach in den eigenen Reihen und es baut die Gegenseite auf. Zudem: Wer selbst an der Gesundheitsreform beteiligt war, sich vor Subventionskürzungen drückt und nur ein halbgares Steuerkonzept präsentiert, bekommt Probleme mit der Glaubwürdigkeit.
ots-Originaltext: Lausitzer Rundschau
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