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Lausitzer Rundschau: Die LAUSITZER RUNDSCHAU Cottbus zu Die Eierwürfe, die Buhrufe, der Kanzler und Hartz IV

Cottbus (ots)

Wenn in ostdeutschen Städten die Bahnstrecken
renoviert sind, halten anschließend leider viel zu oft weniger Züge –
wie jetzt, wo es in Windeseile von Berlin nach Hamburg geht, im
brandenburgischen Wittenberge. Der nagelneue Bahnhof dort wäre
dennoch bis vor kurzem gut gewesen für ein paar nette
Wahlkampf-Fotos. Aber heutzutage gibt es Pfiffe, Buhrufe und einen
Eierwurf für Gerhard Schröder. Und das macht Schlagzeilen und so
mancher mag denken, endlich passiere etwas. Man soll sich nichts
vormachen, was die neue Form des Protestes im Osten betrifft oder
sich gar in Kraftmeierei hineinreden. So wie in Ostdeutschland jeder
jemanden kennt, der verzweifelt Arbeit sucht und bald noch weniger
zum Leben hat, so weiß im Westen auch jeder von einem, der auf Stütze
lebt, obwohl er es gar nicht nötig hat. Die soziale Lage in
Deutschland ist wie die gefühlte Temperatur. Dort, wo der Wind scharf
bläst, wird es kalt. In Stuttgart und drumherum herrscht Windstille.
Der Protest im Osten muss dann natürlich provozieren. Das macht ihn
nicht automatisch suspekt. Und es gehört zur Demokratie, dass die
Menschen, die sich auf eine Konfrontation mit Politikern einlassen,
meinen, es komme vor allem darauf an, sich hörbar zu machen. Und
inzwischen werden sie auch gehört. Was aber artikuliert sich nun auf
ostdeutschen Straßen jenseits der Zukunftsangst, für die jeder
Verständnis hat? Warum schlägt die Verzweiflung und Wut mancherorts
um in blanken Hass auf alle, die Verantwortung tragen? Da bricht sich
auch etwas anderes Bahn, was wenig zu tun hat mit den Kürzungen der
Sozialleistungen. Da werden viel ältere Verletzungen wieder sichtbar.
Und auch das ist legitim und muss schon mal gesagt, auch
rausgeschrieen werden können. Nur hat dieser Aufschrei leider viel zu
selten befreiende Wirkung. Was wiederum daran liegt, dass die Angst
und die Wut viele Trittbrettfahrer haben. Und das sind nicht nur die
zynisch Kalkulierenden, die wissen, dass verzweifelte Menschen
leichter zu manipulieren sind. Was auch mitfährt, ist eine Sehnsucht,
die nicht zu erfüllen ist. Die Sehnsucht nach einer halbwegs heilen
Welt, von der im Grunde jeder wissen müsste, dass es sie noch nie gab
und dass sie deswegen auch keinem geraubt werden konnte. Aber wenn
der Protest in Ostdeutschland sich in ein imaginäres Gestern
flüchtet, dann wird er sehr schnell deutliche Grenzen finden. Es gibt
in der Bundesrepublik mit Sicherheit keine Mehrheit für jenen
gescheiterten Versuch einer angeblich harmonischen und
widerspruchsfreien Verknüpfung von Wirtschafts- und Sozialpolitik,
der die DDR ruinierte.
ots-Originaltext: Lausitzer Rundschau

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