Mitteldeutsche Zeitung: Gesellschaft/Kirche/Musik Margot Käßmann, Botschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland für das Reformationsjubiläum 2017, sieht Defizite im Gemeinschaftsgefühl
Halle (ots)
In den Kirchen spiele die Musik weiter eine sehr bedeutende Rolle, anders sehe es allerdings im "Rest" der Gesellschaft aus, sagte Margot Käßmann der in Halle (Saale) erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" (Mittwoch-Ausgabe). "Hier gibt es ganz große Defizite inzwischen. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele Kinder heute ganz ohne Lieder aufwachsen: Es ist ein Armutszeugnis".
Hier würden wichtige Schritte für die Entwicklung verpasst, sagte Käßmann weiter. Die Botschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland für das Reformationsjubiläum 2017 und Schirmherrin der halleschen Händel-Festspiele, die am 31. Mai eröffnet werden, bekräftigt in dem Gespräch mit der Zeitung: "Musik ist doch nicht nur im Spiel, wenn ich mir Beats per Kopfhörer reinziehe. Man muss auch selber singen. Luther hat gesagt, nichts auf Erden sei kräftiger als die Musik. Sie macht die Traurigen fröhlich und die Fröhlichen traurig."
Die Ursachen für das Defizit beim Gesang sieht Käßmann darin, dass das Gemeinschaftsgefühl zurückgehe. "In einer vollbesetzten Kirche einen Choral zu schmettern, ist eine wunderbare Erfahrung. Aber solche gemeinschaftlichen Rituale sind nicht mehr selbstverständlich. Alles wird individualisiert. Und das ist ein Verlust." Kürzlich habe sie ein Altersheim mit Demenzkranken besucht und gemeinsam mit ihnen gesungen: "Der Mond ist aufgegangen" und "Wenn alle Brünnlein fließen". Und alle hätten mitgesungen. Dabei habe sie sich allerdings gefragt, was geschehen mag, wenn die jetzt heranwachsende Generation alt wird: "Welche Lieder kennen die noch?"
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