Stuttgarter Zeitung: Akademische Freiheiten fehlen
Leitartikel zu Bologna-Reform/Hochschulrektorentagung
Stuttgart (ots)
Die Universitäten und Fachhochschulen haben sich im vergangenen Jahrzehnt unter dem Stichwort Bologna einer tief greifenden Reform unterzogen - der Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen, der Angleichung des Hochschulwesens an europäische Standards. Der deutsche "Bummelstudent" sollte der Vergangenheit angehören. Schneller und effizienter sollte das Studium werden. Die Berufsfähigkeit eines Abschlusses war den Bildungspolitikern ganz wichtig.
Die Operation ist gelungen, aber die Nebenwirkungen sind beachtlich. Klagen kommen sowohl von den Hochschulrektoren als auch aus der Studentenschaft. Die Abbrecherquoten gerade in den Fächern, in denen Mathematik eine große Rolle spielt, sind immens hoch. Das Studium startet für viele mit Nachhilfe. Vom ersten Semester an wird durch Prüfungen, die für das Examen mitzählen, ein hoher Druck aufgebaut. Akademische Freiheiten, das Sichfinden, das Ausprobieren und Orientieren kommen unter die Räder.
Die Unzufriedenheit ist groß über die Verschulung des Studiums, unsinnige Anwesenheitspflichten und die Verkürzung der Regelstudienzeiten, die dadurch ausgehöhlt wird, dass die meisten Bachelor-Absolventen - anders als geplant - den Master machen wollen. Statt kürzer, was sich Bologna auf die Fahnen geschrieben hatte, wird das Studium dadurch faktisch länger. Solch einen Effekt nennt man kontraproduktiv.
Es wird Zeit, dass sich die Kultusminister und die Bundesbildungsministerin an einen Tisch setzen, um über die Bologna-Reform zu sprechen. Sie ist eine Dauerbaustelle.
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