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Rückbesinnung auf die Solidarität
Präsident Hellmut Puschmann zum Jahreswechsel

Berlin (ots)

Ein bewegtes Jahr geht dem Ende entgegen. Zu dem
Bild dieses Jahres gehören ermutigende Schritte auf dem Weg zu einem
erweiterten geeinten Europa und damit zu einer Stabilisierung des
Friedens auf unserem Kontinent. Es gehört dazu ein kaum glaubliches
Maß an Solidarität und Hilfsbereitschaft anlässlich der
Flutkatastrophe im Sommer. Zu diesem Bild gehören aber auch
Terroranschläge und die Angst vor einer kriegerischen Eskalation im
Nahen Osten, im eigenen Land besonders die wieder zunehmende
Massenarbeitslosigkeit.
Die wirtschaftlichen Probleme der öffentlichen Haushalte belasten
die Gestaltung des Sozialen. Bundesweit sind auch bei der Caritas
Dienste und Einrichtungen betroffen, auf die sozial benachteiligte
Menschen dringend angewiesen sind. Vom "Ende des Wohlfahrtsstaats"
ist allenthalben die Rede. Dies ist jedoch irreführend: Ein
"Wohlfahrtsstaat" wäre ein Konstrukt öffentlicher Versorgung, in dem
das Wohlergehen des Einzelnen vollständig in die Zuständigkeit
politischer Planung und staatlicher Regelung fiele. Ein Maximum an
öffentlichen Leistungen zur Befriedigung aller denkbaren Wünsche ist
der Anspruch, der aus einer solchen Sicht entsteht. Ein solches
verordnetes Wohlergehen war und ist nicht das vom Grundgesetz
gewollte Modell unserer Gesellschaft und entspricht auch nicht dem
Menschen- und Gesellschaftsbild, dem sich die Caritas verpflichtet
weiß. Wohl aber begründet das Grundgesetz einen "Sozialstaat". In
diesem soll zum einen sichergestellt sein, dass auch solche Menschen
ein Leben in Würde führen können, die sich trotz aller Bemühungen
selbst nicht helfen können oder Opfer von Strukturen sind, die sie
erdrücken. Zum anderen aber wird jedem für seine Lebensgestaltung
Autonomie zugesprochen und Verantwortung zugemutet - Verantwortung
für sich selbst, Verantwortung aber auch für die Mitmenschen.
Verantwortung und Solidarität sind die Grundpfeiler unseres
Gemeinwesens.
Die leeren öffentlichen Kassen eröffnen die Chance, uns
selbstkritisch mit der Frage auseinander zu setzen, welche Kraft in
unserer Gesellschaft eine Solidarität noch hat, die die Verantwortung
für den anderen und die Eigenverantwortung gleichermaßen umfasst. Man
kann diese Frage für viele Bereiche der aktuellen
Auseinandersetzungen formulieren: für die Tarifauseinandersetzungen,
in denen Besitzstandswahrung zum Bremsklotz für Reformen wird; für
die enorme Spreizung zwischen riesigen Einkom-men und Vermögen
einerseits und einer immer mehr um sich greifenden Verarmung von
Einzelnen und Familien andererseits; für die fast aussichtslos
erscheinende Re-formdiskussion im Gesundheitswesen, in der es kaum zu
gelingen scheint, die ver- schiedenen Bereiche des Gesamtsystems neu
zu ordnen und einen Kompromiss der Interessen zu finden. Nicht
zuletzt gilt die Frage nach der Solidarität für die Diskussion um
Zuwanderung und Integration: Die für das Schicksal und die
Zukunftssicherheit vieler ausländischer Bürger dringend erforderliche
gesetzliche Klarheit droht in partei-politischen Machtkämpfen und im
verantwortungslosen Spiel mit der Fremdenangst zu zerfasern.
Auf diese Aspekte sozialer Schieflagen hinzuweisen, bedeutet
nicht, eine Neiddiskus-sion zu schüren. Dieser Vorwurf verschleiert
einen grundlegenden Sachverhalt: Der soziale Friede ist das höchste
Gut unserer Gesellschaft und unseres Staates. Er hat unserem Land
über Jahrzehnte hinweg eine immense Anziehungskraft verliehen und ist
unser wirklicher Standortvorteil. Wenn dieser soziale Friede bedroht
und brüchig wird, sind alle die Verlierer. Am schnellsten spüren es
allerdings die Menschen am un-teren Ende der sozialen Leiter.
Die Caritas wirbt in einer schwierigen Zeit um Solidarität. Sie
selbst versieht ihre viel-fältigen Dienste aus einer Verantwortung
heraus, die begründet ist im Glauben an die Menschenliebe Gottes, die
in Jesus von Nazareth eine historische Gestalt angenom-men hat. Zu
diesem Glauben gehört auch eine Hoffnung, die uns trotz vieler Sorgen
zuversichtlich in die Zukunft gehen lässt. Wir können Unrecht und
Gewalt nicht aus der Welt verbannen, und existenzielle Belastungen
wie Krankheit, Behinderung oder tragi-sche Lebensereignisse gehören
unausweichlich zur menschlichen Existenz. Aber wir können durch
mitmenschliche Solidarität, die einem gelebten Glauben entspringt,
an-dere dazu ermutigen, selbst wieder den aufrechten Gang zu wagen
und dem eigenen Leben etwas zuzutrauen.
Hellmut Puschmann Präsident des Deutschen Caritasverbandes
PRESSEKONTAKT: 
Claudia Beck 
Deutscher Caritasverband e. V. Hauptvertretung Berlin Chausseestraße
128a 
10115 Berlin 
Tel.: 030 / 28 444 778

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