Nachhaltige Politik in der Behindertenhilfe gefordert
Europäisches Jahr der Menschen mit Behinderung Herausforderung für deutsche Sozialpolitik
Freiburg (ots)
Aus Anlass des diesjährigen Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung erinnert der Deutsche Caritasverband daran, dass die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ein Anspruch ist, auf den durch Reden und Aktionen hingewiesen werden kann, der aber durch aktive nachhaltige Politik auf Dauer begleitet werden muss.
Der Bundesregierung und dem Beauftragten für die Belange der Menschen mit Behinderung sind in den vergangenen Jahren wichtige Gesetze gelungen, die die Lebenssituation behinderter Menschen grundlegend verbessern sollen. Auch war die Akzeptanz behinderter Menschen in der Gesellschaft noch nie so ausgeprägt wie zur Zeit. Viele Menschen mit Behinderung nutzen die durch die Politik ermöglichte Selbstbestimmung und Beteiligung, so dass von einer Bürgerrechtsbewegung gesprochen werden kann.
Beim Blick auf diese positive Entwicklung darf aber nicht übersehen werden, dass noch in vielen Bereichen Handlungsbedarf besteht, bevor von einer wirklichen Teilhabe gesprochen werden kann. So hat beispielsweise das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter dazu beigetragen, deutlich mehr schwerbehinderten Menschen einen Arbeitsplatz zu vermitteln. Für etwa 200.000 Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) hat sich auch die Einkommenssituation verbessert. Seit einigen Jahren jedoch versuchen Kostenträger und Politiker, das System der WfbM schleichend auszuhöhlen, ohne dass es auffällt. Auffallen darf es nicht, weil dieser Arbeitsbereich bei aller Kritik ohne Alternative ist. Trotz des Angebots von Integrationsfachdiensten und -firmen bieten nur die WfbM angemessene Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen. Hier zeigt sich auch, dass der Wunsch nach Teilhabe am Arbeitsleben kein spezifisches Problem von Menschen mit Behinderung ist: Es sind die gleichen Ideen und politischen Entscheidungen gefragt, die für alle Menschen verzweifelt gesucht werden, die nur schwer einen angemessenen Arbeitsplatz fin-den.
Durch das Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch (SGB IX) wurde zum ersten Mal die Partizipation von Menschen mit Behinde-rung gesetzlich verankert. Was ist in den vergangenen eineinhalb Jahren geschehen? Die Rehabilitationsträger wehren sich nach wie vor, bei der Entwicklung praktischer Verfahrensfragen Behindertenfachverbände von Anfang an zu beteiligen. Bei der Früherkennung und -förderung, die nach dem SGB IX bundeseinheitlich finanziert werden soll, ist man zu keiner Einigung gekommen. Es scheint darauf hinaus zu laufen, dass die Kosten für die erforderlichen Leistungen zwischen Krankenkassen und Sozialhilfeträger hin und her geschoben werden. Hier wird erneut deutlich, dass Gesetzestexte allein nicht genügen, um ethische und fachliche Normen zu definieren. Der Gesetzgeber muss auch dafür sorgen, dass Finanzierungsfragen beantwortet werden.
Noch immer gibt es eine kaum zu überbrückende Kluft zwischen der ambulanten und der stationären Hilfe: Immer größer wird die Zahl der Menschen mit Behinderung, die sich wie alle anderen jungen Erwachsenen von der Nähe ihrer Familie lösen wollen und einen eigenen, aber dennoch ihrem Hilfebedarf entsprechenden Lebensraum benötigen. Bisher haben sozial- und behindertenpolitische Fachleute immer neue Heimplätze geschaffen. Nur nebenbei wurde im Rahmen der so genannten Dezentralisierung für Menschen mit geringem Hilfebedarf eine ambulante Wohnbetreuung organisiert. Erst jetzt, nachdem die Kommunen massive Finanzierungsprobleme haben, werden neue Gedanken aufgegriffen. Noch wissen wir nicht, ob das Neue zur Verbesserung der Effizienz und der Lebensqualität führen wird oder ob einfach nur die Kosten gesenkt werden sollen.
Der Deutsche Caritasverband sieht auf die Entscheidungsträger in der Politik eine wahre Sisyphusarbeit zukommen. Er erwartet, dass bei allem Engagement in Projekten und Veranstaltungen und den damit verbundenen Appellen zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung nicht vergessen wird, an den hier beispielhaft aufgezeigten Aufgaben zu arbeiten. Als Mitgestalter des Sozialstaats erklärt der Deutsche Caritasverband seine Bereitschaft, an der Gestaltung einer Politik und Gesellschaft mitzuwirken, an der alle Menschen mit Behinderung uneingeschränkt teilhaben können. Und das während des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung und weit darüber hinaus.
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