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Essen im Alter: Senioren im deutschen Schlaraffenland mangelernährt - Verschärfung durch Alterung der Gesellschaft erwartet - vzbv fordert verstärkte Aufmerksamkeit und legt Maßnahmenkatalog vor

Berlin (ots)

Berlin, 14. Januar 2004 - Der Verbraucherzentrale
Bundesverband (vzbv) und die Bundesarbeitsgemeinschaft der
Senioren-Organisationen (BAGSO) haben Politiker,
Nahrungsmittelindustrie, Ärzte, Pflegekräfte und Angehörigen von
Senioren dazu aufgerufen, der Ernährung von Seniorinnen und Senioren
mehr Aufmerksamkeit zu schenken. "Während auf der Grünen Woche das
Schlaraffenland präsentiert wird, gibt es in Deutschland Millionen
von Seniorinnen und Senioren, die untergewichtig und ausgetrocknet
sind, weil sie seit Jahren zu wenig essen und zu wenig trinken", so
vzbv-Vorstand Edda Müller. "Und dies ist nicht nur ein Problem der
Alten- und Pflegeheime". Bei vielen Seniorinnen und Senioren genüge
schon ein Blick in den Kühlschrank, um Defizite aufzuzeigen. Der vzbv
geht davon aus, dass die dramatischen Veränderungen in der
Alterspyramide zu einer weiteren Verschärfung des Problems der
Mangelernährung führen werden. Als Gegenmaßnahmen forderte der vzbv
unter anderem Qualitätsstandards für die Gemeinschaftsverpflegung in
Heimen, mehr und besser ausgebildete Pflegekräfte sowie eine
altersgerechte Produktplanung der Nahrungsmittelindustrie.
Eine Studie mit Daheim-Lebenden und Heimbewohnern kam zu dem
Ergebnis, dass fast die Hälfte aller Patienten bei der Einweisung in
eine geriatrische Klinik typische Symptome von Austrocknung
aufweisen, 23 Prozent waren massiv unterernährt. "Es ist nicht
hinnehmbar, dass der würdevolle, fürsorgliche Umgang mit
pflegebedürftigen Menschen wirtschaftlichen Gesichtspunkten
nachgeordnet wird", so Edda Müller. Weniger Nahrung bedeute weniger
wichtige Nährstoffe wie Proteine, Mineralstoffe und Vitamine, weniger
Flüssigkeit bedeute Verwirrtheit und teils lebensbedrohliche
Austrocknungszustände. "Neben den gesundheitlichen Risiken für die
Betroffenen steigen auch die Kosten im Gesundheitswesen durch eine
Fehlernährung im Alter". Zum Beispiel sei allein ein Viertel der
Fälle von Dekubitus auf eine falsche Ernährung zurückzuführen - und
somit sei auch ein Viertel der damit verbundenen Kosten, d.h.
geschätzte 840 Millionen Euro, durch eine richtige Ernährung zu
vermeiden.
Die Ursachen für Fehlernährung im Alter sind vielfältig und
reichen von physiologischen Kriterien wie der Abnahme von Appetit und
Durst sowie dem Nachlassen motorischer Fähigkeiten über eine
mangelnden Aufmerksamkeit und Sensibilität von Angehörigen oder
Pflegekräften, ein monotones, wenig abwechslungsreiches Essensangebot
oder einer schlechten Atmosphäre beim Essen bis zur schlechten
Lesbarkeit von Lebensmittelverpackungen. "Die Ursachen der Fehl- und
Mangelernährung von Senioren sind in vielen Fällen hausgemacht", so
BAGSO-Geschäftsführerin Dr. Erika Neubauer. Zum Beispiel sei für
viele daheim lebende Senioren bereits der tägliche
Lebensmitteleinkauf mehr mit Frust als mit Lust verbunden. "Schwer
erreichbare Supermärkte, zu große und schlecht zu öffnende
Verpackungen oder komplizierte und oftmals eine mangelnde und viel zu
kleine Etikettierung erschweren alten Menschen den Einkauf", fasst
Neubauer die Ergebnisse einer von der BAGSO durchgeführten Befragung
älterer Verbraucher zusammen.
An die Zielgruppe der "rüstigen Alten" richten sich auch die
Verbraucherzentralen mit ihrem kostenlosen Einkaufstraining im Rahmen
der Kampagne "Fit im Alter - gesund essen, besser leben" des
Bundesverbraucherschutzministeriums. "Senioren erfahren, mit welchen
Tricks die Verkaufsprofis arbeiten und wie man seine Ernährung auch
ohne Pillen und Pülverchen ausgewogen zusammenstellen kann", stellt
Silke Schwartau, Ernährungsreferentin der Verbraucher-Zentrale
Hamburg die über 80 Kurse in Deutschland vor. Die enorme Resonanz sei
ein Indiz für das große Bedürfnis der Zielgruppe an
Ernährungsinformation. "Zwei Drittel der Teilnehmer wollen im
Anschluss an einen Kurs ihre Essgewohnheiten ändern", so Schwartau.
Edda Müller rief alle beteiligten auf, sich den Problemen im
Bereich der Seniorenernährung zu stellen. Zur Lösung des Problems
forderte der vzbv:
  • Stärkere Berücksichtigung der Belange der 20 Millionen Seniorinnen und Senioren in Deutschland in der Produktplanung der Lebensmittelindustrie; Dazu gehören bedienungsfreundliche Verpackungen, kleine aber gleichwohl preiswerte Portionsgrößen, gut lesbare Schriften und übersichtliche Gliederung der Verpackungstexte.
  • Wohnortnahes und altersgerechtes Angebot von Einkaufsstätten.
  • Eine rasche Verabschiedung der EU-Verordnung zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben bei Lebensmitteln: Der vorliegende Verordnungsentwurf regelt, unter welchen Bedingungen Nährwertangaben wie z.B. fett- oder zuckerarm gemacht und gesundheitsbezogene Werbeaussagen getroffen werden können; Der vzbv fordert, dass die Richtigkeit der Werbeaussagen wissenschaftlich nachgewiesen wurde und sich zudem auf das Produkt beziehen und nicht nur auf die mögliche Wirkung zugesetzter Stoffe.
  • Eine rasche Umsetzung der EU-Richtlinie zu Nahrungsergänzungsmitteln: Diese definiert die Nahrungsergänzungsmittel, sieht deren Anzeigepflicht vor und regelt ihre Kennzeichnung; Bis auf wenige Ausnahmen strapazieren Nahrungsergänzungsmittel nur das Portemonnaie, fördern aber nicht die Gesundheit. Auch werden Dosierungsempfehlungen nicht auf unterschiedliche Anwender abgestimmt.
  • Eine rasche Verabschiedung der EU-Verordnung über den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen: Der jetzt vorgelegte Verordnungsentwurf regelt die Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitaminen und Mineralstoffen durch die Einführung einer EU-weit gültigen Positivliste und die Festlegung von Höchstmengen für die Anreicherung von Lebensmitteln; Dabei müssen aus Verbrauchersicht diese Mengen so dosiert werden, dass Warnhinweise hinfällig sind und alle Bevölkerungsgruppen das Produkt ohne Gesundheitsschäden konsumieren können. Ergänzend fordert der vzbv, dass Lebensmittel mit ungünstigem Nährwertprofil nicht angereichert werden dürfen.
  • Eine deutliche Kennzeichnung des Alkoholgehaltes sowie der Konzentration auf Stärkungssäften; Zehn bis 20 Prozent der Bewohner In Alten- und Pflegeheimen sind alkoholabhängig.
  • Regelmäßige Qualitätsprüfungen der angebotenen Speisen und Vertragsnehmer im Rahmen von "Essen auf Rädern"; Positives Beispiel ist die seit 1997 laufende Vereinbarung zwischen der Stadt Frankfurt und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung mit dem Ziel, Schwachpunkte zu beheben und die Qualität von "Essen auf Rädern" langfristig zu erhöhen.
  • Die Festlegung von Qualitätsstandards für die Gemeinschaftsverpflegung in Heimen nach den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Rahmen- und Versorgungsverträge der Kassen bzw. Sozialhilfeträger mit den Einrichtungen müssen auf diese Standards aufbauen. Die Vorgaben des Heimgesetzes, wonach die Verpflegungskosten in den Heimverträgen gesondert auszuweisen sind, sind konsequent umzusetzen.
  • Ausweitung der Zahl der Pflegekräfte. Zugleich mehr Vermittlung von Ernährungsaspekten in der Ausbildung aller medizinischen Berufsgruppen, um die Sensibilität der Fachkräfte zu erhöhen und das Erfordernis des "täglichen Blicks in den Kühlschrank" zu vermitteln; die Ernährungsberatung sollte zum Leistungskatalog und Standard der häuslichen Pflege zählen.
  • Die Prüfungsberichte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) müssen den Betroffenen, Angehörigen oder deren Interessenvertretungen zugänglich gemacht werden.
  • Eine individuelle Ernährungsbetreuung und eine genaue Beobachtung des Essverhaltens sowie eventueller Störfaktoren in Heimen, Krankenhäusern und bei daheim betreuten Patienten.
Hintergrundinformationen finden Sie im Dokumenten-Download zu
dieser Pressemitteilung auf www.vzbv.de:
Ein umfassendes Dossier zur Seniorenernährung in
Deutschland "Essen im Alter: Zu wenig? Zu viel? Das Falsche?"
Die wichtigsten Daten des Dossiers im Überblick
Weitere Informationen zum Einkaufstraining der
Verbraucherzentralen und zur Kampagne "Fit im Alter - gesund essen,
besser leben" (www.verbraucherschutzministerium.de) sind bei der
Verbraucher-Zentrale Hamburg unter www.vzhh.de abrufbar.
Die Verbraucherzentralen auf der Internationalen Grünen Woche
finden Sie mit einem eigenen Stand in Halle 23a.
ots-Originaltext: vzbv - Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.
Digitale Pressemappe: 
http://www.presseportal.de/story.htx?firmaid=52346

Kontakt:

Christian Fronczak, Pressereferent vzbv, eMail presse@vzbv.de
Dieter Lang, Referent für Pflege und kollektiven
Verbraucherrechtsschutz, gesundheit@vzbv.de
Ursula Lenz, Pressereferentin BAGSO, eMail: lenz@bagso.de
Silke Schwartau, Ernährungsreferentin Verbraucher-Zentrale Hamburg,
eMail: schwartau@vzhh.de

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