Werder Bremen-Presseservice: Interview mit Nachwuchsmanager Uwe Harttgen: "Hoher Stellenwert"
Bremen (ots)
Vor kurzem verkündete der Deutsche Fußball-Bund erste Erfolgszahlen der neu geschaffenen 3. Liga. Doch was steckt wirklich in Deutschlands dritthöchster Spielklasse? Werders Nachwuchsmanager Uwe Harttgen schildert seine Eindrücke und Erwartungen.
Herr Harttgen, ist die 3. Liga zum erwarteten Premium-Produkt geworden, das der Deutsche Fußball-Bund versprochen hatte?
Sportlich gesehen muss man feststellen, dass die 3. Liga bislang voll und ganz überzeugt hat. Sie ist sehr, sehr ausgeglichen. Jeder kann jeden schlagen. Unsere Talente haben in dieser Liga bestmögliche Entwicklungschancen, da sie sich zum einen gegen viele gestandene Erst- und Zweitligaspieler in den so genannten Traditionsvereinen durchsetzen, ihr fußballerisches Geschick aber auch gegen den gleichaltrigen Nachwuchs von Bayern München oder vom VfB Stuttgart beweisen müssen.
Wo sehen Sie noch Entwicklungspotenzial?
Die Liga ist noch jung, die Entwicklung und Etablierung hat erst angefangen. Gerade im ökonomischen und medialen Bereich sehe ich Verbesserungsbedarf. Die Frage ist zum Beispiel, warum die zweiten Mannschaften der Bundesligisten weniger Aufmerksamkeit durch die Medien erhalten.
Worin sehen Sie die Gründe dafür?
Es heißt immer, die Spiele der zweiten Mannschaften seien unattraktiv. Aber: Unser 4:3 gegen Sandhausen oder das 4:5 gegen Stuttgart II sind unattraktiv? Das kann ich mir nicht vorstellen. Auch das 1:1 bei Bayern München II war eine Begegnung auf ganz hohem fußballerischem Niveau, das in dieser Spielzeit nur selten in anderen Stadien erreicht wurde. Daher lasse ich dieses Argument nicht gelten. Die besondere Situation der zweiten Mannschaften wird insgesamt sehr negativ bewertet. Dabei gibt es sehr viele positive Argumente, die für diese Teams sprechen: Die Mannschaften spielen attraktiven, spielerisch anspruchsvollen Fußball, und man kann bereits in der 3. Liga viele Talente sehen, die vielleicht bald schon in der Bundesliga für Furore sorgen. Die gute Nachwuchsarbeit in Deutschland spiegelt sich gerade in diesen Mannschaften wider.
Es ist aber auch häufig zu lesen, dass bei den Clubs in Spielen gegen zweite Mannschaften die Einnahmen ausbleiben, da weniger Zuschauer ins Stadion kommen.
Diese Aussage darf man nicht so stehen lassen. Wenn Braunschweig gegen Union Berlin oder Düsseldorf gegen Paderborn spielt, sind sicherlich mehr Zuschauer im Stadion, als wenn Werders U 23 in Braunschweig oder Düsseldorf zu Gast ist. Doch bringt Sandhausen mehr Zuschauer mit nach Emden oder Unterhaching nach Düsseldorf? Das denke ich nicht.
In der kommenden Saison erhält, bis auf die zweiten Mannschaften, jeder Verein rund 800.000 Euro aus der TV-Vermarktung. Für viele Vereine noch zu wenig. Verständlich?
Sicherlich möchte jeder Verein gerne mehr Geld erlösen. Die Kosten sind beispielsweise durch weitere Anreisen im Vergleich zu den früheren Regionalligen gestiegen. Andererseits handelt es sich bei der 3. Liga um die umsatzstärkste dritthöchste Spielklasse in Europa, und auch im Vergleich zu anderen Top-Sportarten in Deutschland fließt sehr viel Geld. Dementsprechend sollte gewirtschaftet werden. Werder ist an den TV-Geldern gar nicht beteiligt. Uns fällt es auch nicht leicht, auf diese Summe zu verzichten.
Sehen Sie einen finanziellen Nachteil für Werder?
Der Kompromiss lautete: Die zweiten Mannschaften erhalten die Spielberechtigung in der 3. Liga und verzichten im Gegenzug auf das Startrecht im DFB-Pokal und auf das TV-Geld, das sich in dieser Saison auf etwas mehr als 500.000 Euro beläuft. Das war aus unserer Sicht ein hoher Preis, schließlich haben wir uns trotz aller Beschränkungen wie die U-23-Regelung sportlich genau wie alle anderen Teams für diese Liga qualifiziert. Von uns wird auf der einen Seite erwartet, den Nachwuchs für Deutschland auszubilden und dafür Nachwuchsleistungszentren zu errichten, die andere Vereine in der 3. Liga nicht haben müssen. Andererseits profitieren wir nicht von den Einnahmen. Beim Liga-Sponsor gibt es bereits Überlegungen über eine Beteiligung. Ich denke, hier ist die Liga auf einem guten Weg.
Überlegungen und Diskussionen gibt es auch immer wieder über eine zahlenmäßige Beschränkung von zweiten Mannschaften in der 3. Liga oder sogar über eine eigene Liga für zweite Mannschaften.
Der DFB hat in den vergangenen Jahren sehr großen Wert auf eine erfolgreiche Nachwuchsarbeit gelegt, Nachwuchskonzepte erarbeitet, die Leistungszentren zertifiziert und somit die Talentförderung in Deutschland weiter voran gebracht. Das muss sich auch in den Vereinen widerspiegeln. Ziel ist es, den Nachwuchs für unsere Bundesliga-Mannschaft auszubilden, und dafür muss der Abstand zur ersten Mannschaft so gering wie möglich sein. Für einige Talente kommt der Schritt von der U 19 in die Bundesliga jedoch zu früh, da die Anforderungen enorm hoch sind. Gerade diese Spieler brauchen die 3. Liga, um darüber später den Sprung zu schaffen. Bei uns liegt der Altersdurchschnitt etwas über 20 Jahre. Wie viele Spieler bei den anderen Vereinen erhalten in diesem Alter so viel Spielpraxis? Spiele gegen starke Gegner, gegen gestandene Profis, die schon einiges erlebt haben, und vor einer tollen Kulisse wie in Berlin, Braunschweig oder Erfurt bringen unsere Jungs voran und bereiten sie auf die Bundesliga vor. Und im Endeffekt profitieren auch die Mannschaften in der 3. Liga von uns.
Inwiefern?
Man muss nur schauen, wie viele Spieler der Drittligisten bei einem Bundesligisten ausgebildet wurden. In Paderborn sind es alleine sechs von Werder Bremen. Frank Löning, einer der Top-Torjäger der Liga, hat bis zum vergangenen Sommer in unserer U 23 gespielt. In Erfurt zählt Thiago Rockenbach da Silva zu den Leistungsträgern. Es gibt so viele Beispiele, die ich hier aufzählen könnte. Und das nur in der 3. Liga. Christian Schulz, Simon Rolfes, Dennis Diekmeier und Nelson Valdez sind einige Beispiele in der ersten und zweiten Bundesliga. Eine derart erfolgreiche Ausbildung ist nur möglich, wenn auch die Nachwuchsförderung einen entsprechenden Stellenwert genießt.
Vor allem in England und Spanien tauchen immer häufiger so genannte 'Jahrhundert-Talente' auf. Wird man auch bald in Deutschland von derartigen Spielern lesen können?
Mit Marko Marin, Toni Kroos oder bei uns Pascal Testroet und Onur Ayik gibt es sehr viel versprechende Talente. Doch in England, Spanien, Italien und auch Frankreich fangen die Top-Clubs bereits an, die besten U-15-Spieler der ganzen Welt an sich zu binden. In den Kadern stehen Nachwuchsspieler aus Afrika, Südamerika und den Ländern Osteuropas. Dieser Markt muss seriös und durchdacht auch für uns zugänglich gemacht werden. Einige hoffnungsvolle Talente dürfen bei uns nicht spielen, da es schwer ist, einen jugendlichen Nicht-EU-Ausländer zu verpflichten. Das kann nicht im Sinne der Nachwuchsförderung sein. Wir stehen nicht nur hierbei vor neuen Herausforderungen, die wir annehmen müssen, um mit den europäischen Topligen mithalten zu können.
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