Pflege am Lebensende: Rechtsanspruch zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung wird im Dezember verabschiedet, Kassen sind in Leistungspflicht
Berlin (ots)
Flexibel und ohne starre Regeln, so soll der Rechtsanspruch auf spezialisierte ambulante Palliativmedizin (SAPV) aussehen. Das haben sowohl Dr. Rainer Hess als Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, als auch Werner Jacobs, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland,Hamburg auf dem Forum für Palliativmedizin unter Leitung von Prof. Friedemann Nauck am 23. November 2007 in Berlin formuliert. Zu dem Forum der Aesculap Akademie "Das Lebensende gestalten" waren mehr als 500 Mediziner und Pflegende gekommen, um sich über aktuelle Themen der Palliativmedizin informieren zu lassen.
Jacobs warnte davor, die Palliativmedizin zu "zementieren". Sie müsse an das Krankenbett des Patienten kommen. Der Übergang von der Therapie in die palliative Versorgung müsse unmerklich von statten gehen. Er empfiehlt den Aufbau flexibler Netzwerke, Palliative Care Teams (PCT), die bei Bedarf zum Patienten fahren. Bei der Versorgung müsse sichergestellt werden, dass das involvierte Fachpersonal die notwendige Qualifikation aufweise. Dr. Rainer Hess kündigte eine Richtlinie an, die im Interesse der Patienten Spielräume lassen werde. So werde der Krankenhausarzt eine ambulante Versorgung verordnen können. Auch soll Hausärzten und ihren Klinikkollegen ein Verordnungsrecht ohne Genehmigungsvorbehalt der Kassen eingeräumt werden. Damit wolle man gewährleisten, dass es bis zu einer endgültigen Entscheidung einer Kasse nicht zu Behandlungslücken komme, erläuterte Hess. Sie sei in der Leistungspflicht. Die Hilfen sollen dabei von der Beratung bis zur Vollversorgung reichen. Hess definierte als SAPV-Patienten Sterbende mit ausgeprägten Schmerzsymptomen, schwerer neurologisch/psychiatrischer, respiratorischer oder gastrointestinaler Symptomatik.
Laut dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) Professor Dr. Müller-Busch werden für eine flächendeckende Versorgung in Deutschland 300 Palliative-Care-Teams benötigt, 60 sind derzeit vorhanden. Den Bedarf für die SAPV gab er mit 80000 bis 100000 Patienten an. Laut Müller-Busch könnten bei einer besseren Versorgung bis zu 80 Prozent aller Krebspatienten zu Hause sterben. Bislang seien es etwa 30 Prozent. Für allein stehende Menschen und Menschen mit schwierigem Betreuungsumfeld gäbe es aber auch andere Versorgungsformen wie Hospize oder Palliativstationen.
Der Lehrstuhlinhaber des Stiftungslehrstuhls der Deutschen Krebshilfe und Direktor der Abteilung Palliativmedizin der Georg-August-Universität in Göttingen, Professor Dr. Friedemann Nauck, forderte eine bessere flächendeckende Ausbildung der Ärzte schon in der Universität. Das gelte auch für die Pflege, meinten die Krankenschwestern Susanne Keidler-Zindel und Hanne Weishaupt, die in Kassel und Umgebung für mehr als 200 000 Einwohner gemeinsam mit einem niedergelassenen Arzt das PCT bilden und die Pflege von sterbenden Menschen mit Krebs koordinieren. Das Team wird seit drei Jahren ausschließlich aus Spendengeldern finanziert. Hanne Weishaupt hofft, dass mit der SAPV "Zeit für mehr Menschlichkeit vergütet werden kann". Sterben brauche Zeit.
Hintergrund: Mit der Gesundheitsreform hat die große Koalition für schwer kranke Patienten mit begrenzter Lebenserwartung einen gesetzlichen Anspruch auf spezialisierte ambulante Unterstützung durch PCT geschaffen (§37 SGB V). Die Verordnung soll durch Haus- und Klinikärzte erfolgen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat hierzu im Herbst eine Richtlinie erarbeitet, die im Dezember verabschiedet werden wird. Auf deren Grundlage werden die Kassen dann Verträge mit den Anbietern abschließen können. Palliativmedizin ist inter- und multidisziplinär. Deshalb empfiehlt die DGP PCT aus Ärzten und Krankenschwestern zusammenzustellen. Auch ambulante Hospizdienste müssten in die Versorgung eingebunden werden. "Es muss immer im Einzelfall geprüft werden, welche Struktur für den bestimmten Patienten die Richtige ist", erläuterte Müller-Busch.
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