Berliner Morgenpost: Kommentar - Das Fernsehen ist die Schule der Nation Christoph Stölzl über den Rauswurf von Elke Heidenreich
Berlin (ots)
Wenn das keine Soap ist, würdig jedes Nachmittagsprogramms bei den privaten Sendern! Man beleidigt sich, bricht die Spielregeln, keilt auch mal nach, damit es schön weh tut. Wenn Kulturleute gemein sein wollen, dann greifen sie just zu den gleichen Waffen wie ganz normale Zeitgenossen: "Dumm", "verblödet" sei das, was die Kollegen an Sendungen fabrizieren. Und auch der schmerzhafteste aller Stiche darf nicht fehlen: Superentertainer sind in Wahrheit "müde alte Männer", so reich gelockt ihr Haar auch sei. Zynische Insider raunen, alles rühre nur vom Futterneid. Wir, die wir unser Leben vor und nicht hinter dem Bildschirm verbringen, hätten nun vielleicht den Wunsch gehabt, bei soviel aufgehäuftem Zorn breche jetzt die große Stunde der Streitkultur an, wo die Fetzen so lange fliegen, bis die Luft gereinigt ist. Aber wer das hoffte, kennt die gut geölten Räderwerke des deutschen Arbeitsrechts nicht. Ganz als sei das ZDF nicht eine Hochleistungsfabrik von Gedanken, Meinungen und Überzeugungen, sondern eine x-beliebige Firma, wird die "Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung" mit einer Frau wie Elke Heidenreich beendet, weil eine "gedeihliche und sinnvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich" ist. Was im Nebel der Allerweltsformeln untergeht, ist die überaus dringliche Grundsatzfrage nach dem Selbstverständnis der öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten. Sie sind ein Teil des demokratischen Staates und werden durch Zwangsgebühren finanziert, die man genauso gut Fernsehsteuern nennen könnte. Die Öffentlich-Rechtlichen wären deshalb gut beraten, wenn sie ihren Ort an der Seite der informierenden, pädagogischen und kulturellen Institutionen des Landes suchen würden - so wie dies in der Frühzeit der Bundesrepublik durchaus der Fall war. Seine Legitimität begründet das öffentlich-rechtliche Fernsehen aber stillschweigend aus der Einschaltquote, und diese entscheidet auch über die Attraktivität für die Werbewirtschaft. Forderungen nach einer "Kulturquote" im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und nach den besten Sendezeiten für Kulturprogramme haben die Verantwortlichen immer als "romantisch" abgetan: Der Geschmack des Publikums begründe das Programm. Wendete man das Prinzip auf die Kulturnation Deutschland an, dann müssten wir Opern und Philharmonien, Museen und Forschungsinstitute reihenweise schließen, weil sie auf dem "Markt" der Unterhaltungen nur über jämmerliche "Einschaltquoten" verfügen. Das Fernsehen entscheidet wie keine andere Agentur der öffentlichen Meinung über Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit von Werten, es ist die wahre Schule der Nation. Es verfehlt seinen demokratischen Beruf, wenn es nicht Verantwortung ergreift für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Die Weitergabe kultureller Errungenschaften ist kein "Damenprogramm der Industriegesellschaft", sondern vitales Überlebensmittel in einer globalen Konkurrenzgesellschaft.
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