Berliner Morgenpost: Ein Tarifvertrag, der Maßstäbe setzt - Kommentar
Berlin (ots)
Am Ende sind es ein paar Euro mehr geworden. Als der Senat vor der Sommerpause 50 Euro mehr Gehalt pro Monat für jeden Angestellten in Berlins öffentlichem Dienst angeboten hatte, verließen die Gewerkschaften erbost den Saal. Jetzt, vier Monate später, unterschrieben die Funktionäre die Einigung über 65 Euro. Der längste Streik in Berlins öffentlichem Dienst ist beendet. Viel Lärm um wenig also. Der Ertrag war wohl kaum die Nerven von Kita-Eltern oder Kunden von Bürgerämtern und Kfz-Zulassungsstellen wert. Aber es ging für beide Seiten ums Prinzip. Mit ihrer Sturheit stießen Ver.di, GdP und GEW auf einen ebenso dickschädeligen Senatschef Klaus Wowereit, der fälschlicherweise damit gerechnet hatte, dass der Kampfesmut seiner frustrierten Untergebenen über die Sommerpause erlahmen würde. Dass die Gewerkschaften im Herbst noch einmal mobilisieren konnten, dürfen sie als Erfolg verbuchen. Politisch können es sich SPD-Landeschef Michael Müller, Innensenator Ehrhart Körting und die Linkspartei gutschreiben, den "Basta"-Politiker Wowereit doch noch vom bürgerunfreundlichen Konfliktkurs abgebracht zu haben. Politisch war eine Einigung für Rot-Rot zwingend. Niemals wären SPD und Linke mit dem Ballast eines Streiks in den Bundestagswahlkampf 2009 gezogen. Wer sich bundesweit als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit anpreist, kann sich vor dem Rathaus der Hauptstadt keine protestierenden Wachpolizisten und Erzieherinnen leisten, die nur einen Teil dessen forderten, was Kollegen anderswo auch bekommen. Und die Gewerkschaften mussten reinen Tisch machen, um sich auf die bundesweiten Tarifrunden vorzubereiten und einen Konflikt zu beenden, der ihre Tarifgemeinschaft fast gesprengt hätte. Mit dem Abschluss haben sie sich die komplette Blamage gerade noch erspart. An einem Punkt setzt der Berliner Tarifvertrag sogar Maßstäbe: Der gleiche Sockelbetrag für alle kommt überproportional den von Gehaltsverzicht und Inflation gebeutelten unteren Lohngruppen zugute. Es wäre ein Beitrag zur Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften, wenn künftig überall Festbeträge statt prozentualer Lohnerhöhungen gefordert würden, die den Abstand zwischen Gut- und Niedrigverdienern nur vergrößern. Für die Stadt ist ein anderes Element des Abschlusses wichtiger: Er öffnet einen Korridor für die Rückkehr ins bundesweit geltende, modernisierte Tarifrecht. Das lässt hoffen, dass beide Seiten anfangen, an der Zukunft des öffentlichen Dienstes zu arbeiten. Um die Stadt regierbar und den Staatsdienst bezahlbar zu halten, ist dringend zu klären, welche Aufgaben wer mit welchem Personal erbringen soll. Jetzt, da die Kämpfer aus den Schützengräben gekrochen sind, können sie sich endlich dieser Zukunftsaufgabe zuwenden - zum Wohle der Stadt und ihrer Bürger.
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