All Stories
Follow
Subscribe to BERLINER MORGENPOST

BERLINER MORGENPOST

Berliner Morgenpost: Ein gefährlicher Präzedenzfall - Kommentar

Berlin (ots)

Etwa jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland hängt
direkt (Produktion) oder indirekt (Zulieferung) vom Wohl und Wehe der
hiesigen Automobilindustrie ab. Wenn diese jetzt - nicht allein, aber
stark beschleunigt - durch die Finanz- und Bankenkrise schwer an 
Fahrt verliert, schrillen zu Recht alle Alarmglocken. Mehrere 
Zehntausend Arbeitsplätze sind bedroht, und das kurz vor einem 
Wahljahr. Doch Vorsicht, Politiker aller Parteien! Wer zu hohe 
Erwartungen weckt, wird viele Betroffene enttäuschen. Wer dem Ruf 
nach immer mehr Staat folgt, riskiert Wettbewerb und Marktwirtschaft,
auf denen unser aller Wohlstand immer noch basiert.
In Zeiten, da mit staatlichen Milliardenbürgschaften anscheinend nur 
so um sich geworfen wird, könnten die eine Milliarde Euro, um die der
Autobauer Opel als derzeit größtes Sorgenkind der Branche bittet, 
fast als "Peanuts" erscheinen. Also warum bei den Banken so großzügig
und dem Autobauer möglicherweise so knauserig? Ein Zusammenbruch der 
Banken würde den gesamten Zahlungsverkehr und Kreditkreislauf und 
damit die Wirtschaft insgesamt kollabieren lassen. Die Krise in der 
Finanzbranche ist also von ganz anderem Gewicht als etwa in der 
Autoindustrie. Behauptet sich ein Unternehmen im Wettbewerb nicht, 
scheidet es aus, aber die besseren bleiben. Der Staat hat nicht die 
Aufgabe, sinkende Nachfrage auszugleichen.
Dennoch ist es richtig, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel 
gestern mit der Führung von Opel getroffen hat. Immerhin stehen weit 
mehr als allein die 25700 Arbeitsplätze bei Opel auf dem 
Spiel. Die dürfen nicht tatenlos geopfert werden, nur weil der 
US-Mutterkonzern General Motors selbst gegen eine Insolvenz ankämpft.
Aber auch im Fall Opel darf es nur eine Hilfe zur Selbsthilfe sein. 
Mögliche Bürgschaften setzen gründliche Prüfungen voraus. Dies hat 
Frau Merkel korrekt auch für das Ansinnen der Rüsselsheimer zur 
Bedingung gemacht hat. Wenn also Opels Krise nur eine vorübergehende,
der internationalen Finanzkrise geschuldete ist und keiner verfehlten
Markenpolitik oder einer bewussten finanziellen Auszehrung durch den 
Mutterkonzern, dann verdient Opel Deutschland Hilfe. Also nur, wenn 
sich das Unternehmen dank kurzfristiger staatlicher 
Überbrückungshilfe im harten Marktwettbewerb wieder behaupten kann.
Deshalb darf es auch keine Lex Opel geben. Ringt sich der Staat am 
Ende zu einer Hilfe durch, muss das für alle anderen Unternehmen 
gelten, denen nachweislich allein durch die Finanzkrise eine 
Existenznot droht. Ansonsten muss gelten: Wer auf dem Markt versagt, 
kann nicht auf den Staat bauen. Deshalb sei die Politik vor allzu 
schnellen Hilfsversprechen gewarnt. Sie könnte sich schnell verheben.
Der Fall Holzmann sollte allen eine Mahnung bleiben. Der schon marode
Baukonzern konnte 1999 auch durch eine staatliche Millionenbürgschaft
nicht gerettet werden.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original content of: BERLINER MORGENPOST, transmitted by news aktuell

More stories: BERLINER MORGENPOST
More stories: BERLINER MORGENPOST
  • 16.11.2008 – 19:22

    Berliner Morgenpost: Mit Steuermilliarden in die Sackgasse - Kommentar

    Berlin (ots) - Der Deutsche an sich pflegte stets ein erotisches Verhältnis zum Auto: schnell fahren, bequem reisen, Macht über die Maschine spüren, den Neid der Nachbarn genießen - das Fahrzeug als Spaß- und Status-Lieferant. Gegen dieses schöne Bauchgefühl stellt sich die ökonomische Vernunft: Lohnt sich ein Neuwagen? Kaum hat man den Parkplatz des ...

  • 14.11.2008 – 19:07

    Berliner Morgenpost: Auch beim Gehalt gibt es Grenzen des Anstands - Kommentar

    Berlin (ots) - Natürlich ist die globale Finanzkrise mit ihren fatalen Folgen nicht entscheidend auf die persönliche Gier und die mit ihr verbundenen exorbitant hohen Einkommen Einzelner zurückzuführen. Ihr wahrer Grund ist in Amerika zu finden. Die US-Finanzaufsicht hat viel zu lange tatenlos geduldet, dass über Jahre zu viele billige Kredite an zu viele ...

  • 13.11.2008 – 21:01

    Berliner Morgenpost: Ein Tarifvertrag, der Maßstäbe setzt - Kommentar

    Berlin (ots) - Am Ende sind es ein paar Euro mehr geworden. Als der Senat vor der Sommerpause 50 Euro mehr Gehalt pro Monat für jeden Angestellten in Berlins öffentlichem Dienst angeboten hatte, verließen die Gewerkschaften erbost den Saal. Jetzt, vier Monate später, unterschrieben die Funktionäre die Einigung über 65 Euro. Der längste Streik in Berlins ...