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Berliner Morgenpost: Wenn der Hirte die Herde auseinander treibt - Kommentar

Berlin (ots)

Vielleicht ist es ja doch so, dass sich die wahre
Größe, die Würde, die Stärke eines Menschen, und sei er noch so 
erfahren und weise, erst im Sturm erweist. Wenn man in Bedrängnis 
gerät, kämpfen muss, wenn die Dinge nicht so laufen wie gewohnt oder 
gewollt, wenn die anderen drängen und drängeln. Wenn man sich gehetzt
fühlt, Komplott wittert, Verrat. Wenn dann Trotz und Bitterkeit 
aufkommen, womöglich sogar Wut, man den Weg nicht mehr findet heraus 
aus dem Schlamassel, man stattdessen noch einen Fehler macht und noch
einen. Und dann ...
Hätte der Papst einen wirklich guten Ratgeber, ein professionelles 
Umfeld, vielleicht auch nur einen etwas begabteren 
Kommunikationsmanager als diejenigen, die ihn in diesen schlechten 
Tagen umgeben, er würde zur Klarheit raten. Zu einem deutlichen, 
selbst ausgesprochenen Wort des Pontifex, das doch noch immer zählt 
in der Welt, und das natürlich die Kraft hätte, die geisterhaften 
Debatten dieser Tage zu beenden, die nicht nur Deutschland zu Recht 
in Atem halten: Mea culpa.
Die Welt würde diesem Papst, der sich selbst unmittelbar nach seiner 
Wahl zum Kirchenoberhaupt als "einfachen Arbeiter im Weinberg 
Gottes", als "unzureichend", also auch fehlbar bezeichnet hatte, eine
Entschuldigung, eine Umkehr von diesem Irrweg immer noch abnehmen und
verzeihen. Es glaubt ja niemand ernsthaft, dass Benedikt ein 
Antisemit sei, einen offenbar unbelehrbaren Holocaust-Kritiker 
aufwerten oder ihm auch nur etwas näher sein wollte.
Nicht nur wir Deutschen haben Benedikt XVI. schätzen gelernt als 
bescheidenen Menschen, als Menschenfänger; als einen Papst, der wie 
sein Vorgänger Johannes Paul II. auch im hohen Alter noch die Jungen 
für sich gewinnen kann. Der auch diejenigen mitnehmen wollte, die dem
Kardinal Joseph Ratzinger, dem mächtigen Vorsitzenden der 
Glaubenskongregation, nun wirklich nicht auf die Soutane schauen 
konnten. Er wollte nicht der starke Herrscher, der Rechthaber sein, 
den viele befürchteten, sondern der Diener der Menschen, aller 
Menschen wenn möglich.
Nicht nur dieses Bild durchkreuzt Benedikt mit seinem beharrlichen, 
vielleicht trotzigen, vielleicht schon wütenden, sicher aber selbst 
sehr Wohlmeinende verstörenden Schweigen. Mit dem Vorschicken 
verschwiemelt formulierender Boten, mit einem Krisenmanagement, das 
an die einschlägigen Verhaltensweisen beratungsresistenter Politiker 
oder auch Bahn-Manager erinnert. Benedikt gefährdet auch das Ziel, 
das ihm von Beginn seines Pontifikats an am meisten am Herzen lag: 
Die Einheit der Kirche.
Dieses innige Anliegen, das den Vatikan ja paradoxerweise erst in 
diese fürchterliche Lage trieb, erfüllt sich eben nicht mit der 
Wiedereingliederung einiger Abweichler, sondern in der Fähigkeit des 
Papstes, die Menschen für sich, für den christlichen Glauben, für die
katholische Kirche zu gewinnen. Derzeit aber eint der Hirte seine 
Herde nicht. Er treibt sie, wie in diesen Tagen beispielhaft in der 
CDU zu besichtigen, aus- oder, schlimmer noch, gegeneinander.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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