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Berliner Morgenpost: Enteignung einer Bank ist nicht gleich Sozialismus - Kommentar

Berlin (ots)

Gestern sei ein Tag der Unfreiheit gewesen, sei das
Tor zum Sozialismus weiter aufgestoßen worden. Welch ein Unsinn, den 
der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Rainer Brüderle im 
Bundestag während der abschließenden Debatte über das 
"Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz" behauptete. Ein wahres 
Wortungetüm - mit der Fähigkeit, allzu viele Geister zu verwirren. 
Mit dem von der großen Koalition auf den Weg gebrachten Gesetz soll 
die Grundlage für die Rettung des Münchner Staats- und 
Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate (HRE) geschaffen werden. Weil
es als letztes Mittel mit Enteignung droht, sieht nicht allein 
Brüderles FDP rot. Nach einer Forsa-Umfrage fürchten selbst drei 
Viertel der Unionswähler, die CDU unter Führung der Kanzlerin und 
Parteivorsitzenden Angela Merkel könnte zu einer "Partei der 
Verstaatlichung" werden. Die globale Finanzkrise, die Gegenreaktionen
der Regierungen in Berlin und anderswo wie die bis zu Ängsten 
gesteigerten Sorgen der Menschen um die ökonomische Zukunft lösen 
immer neue, erstaunliche Reaktionen aus.
Mit rund 90 Milliarden Euro hat der Bund bislang die an ihrer eigenen
Maßlosigkeit gescheiterte HRE künstlich am Leben gehalten. 
Anderenfalls wäre die Bank längst bankrott, ihre Anteilseigner hätten
nach den Spielregeln der Marktwirtschaft alles Geld verloren. Nur 
weil sie als "systemrelevant" deklariert worden ist, soll ihr dieses 
Schicksal erspart bleiben und der Staat, der Not gehorchend, wohl 
noch weitere Milliarden in das Institut pumpen. Also Steuergelder, 
die doch wohl kaum zum Vorteil der Anteilseigner eingesetzt werden 
dürfen. Der Staat ist gegenüber den Steuer zahlenden Bürgern also 
geradezu verpflichtet, angesichts der eingesetzten Summe Einfluss auf
das weitere aktive Geschäft der HRE zu nehmen. Und das will er so 
behutsam wie möglich tun: Enteignung nur als allerletztes Mittel, 
alles befristet bis Ende Juni, Entschädigung zum Börsenkurs und 
Verpflichtung, das Institut nach einer Stabilisierung so schnell wie 
möglich wieder zu privatisieren.
Ein "Tag der Unfreiheit", ein drohender Marsch in den Sozialismus? 
Wer einerseits wie die Marktliberalen in dieser Krise mit ihren 
ungeahnten Ausmaßen und Folgen nach der rettenden Tat des Staates 
ruft, andererseits alle Hilfen zum Nulltarif verlangt, der ist 
unredlich. Der verwechselt Ursache und Wirkung. Dem sei zudem ein 
Blick in unser Grundgesetz, Artikel 14 empfohlen. Der gewährleistet 
am Allgemeinwohl orientiertes Eigentum, erlaubt aber auch eine 
Enteignung "zum Wohle der Allgemeinheit". Die Bundesregierung bewegt 
sich mit ihrer als "Enteignungsgesetz" diffamierten Vorlage also auch
verfassungsrechtlich auf solidem Grund.
Das Finanzdesaster hat seinen Ursprung in Amerika. Banker in aller 
Welt haben es durch grenzenlose Selbstüberschätzung genährt. Weil der
Markt versagt hat, bleiben die Regierungen als letzte Retter. Der 
Staat darf deshalb nicht zum Unternehmer werden. Er kann es noch 
weniger gut. Aber in einer Marktwirtschaft, in einer mit dem Zusatz 
"sozial" allemal, hat er den Ordnungsrahmen anzupassen, wenn der alte
missbraucht wurde und deshalb versagt hat. Das gilt auch für die Hypo
Real Estate.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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