Berliner Morgenpost: Kommentar: Die Türkei nährt Zweifel an ihrer EU-Tauglichkeit
Berlin (ots)
Noch wird er zu Hause gefeiert; von seinen islamischen Anhängern wie von den Nationalisten im Lande. Doch nicht allein für Ministerpräsident Tayyip Erdogan droht das Schachern um den neuen Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen zum Pyrrhussieg zu werden, sondern gleich für die ganze Türkei. Wer die Verbündeten so schamlos erpresst, wie es Erdogan von Ankara aus getan hat, um dessen Ruf als verlässlicher Partner und ehrlicher Makler ist es schlecht bestellt. Auf beides aber muss die Türkei bauen, wenn sie weiter an ihrem strategischen politischen Ziel festhalten will, als Vollmitglied in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Besonnene Stimmen in der Türkei warnen denn auch, dass die Beziehungen der Türkei insbesondere zur EU dauerhaften Schaden genommen hätten. Dem ist schwerlich zu widersprechen. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass nach Präsident George W. Bush nun auch dessen Nachfolger Barack Obama die Europäer drängt, die Türkei als Vollmitglied in die Gemeinschaft, die ähnlich wie die Nato auch eine der gemeinsamen Werte ist, aufzunehmen. Was aus strategischer Sicht der Weltmacht Amerika verständlich sein mag, bleibt irgendwann einer alleinigen Entscheidung aller EU-Mitglieder vorbehalten. Derzeit sind die Vorbehalte bei vielen Mitgliedern bis hin zur kategorischen Ablehnung (Frankreich) sehr groß. Und die Zahl der Bedenkenträger wird weiter wachsen nach Erdogans Machtpose. Seine Ablehnungsgründe gegenüber dem Dänen Rasmussen sind inakzeptabel für eine Union, die mehr als nur eine wirtschaftliche ist, in der Toleranz und Meinungsfreiheit ebenso hohe Werte sind wie Kompromissbereitschaft, ohne die ein vereintes Europa nicht lebensfähig ist. Die Ernennung Rasmussens wochenlang zu boykottieren, weil der es als dänischer Ministerpräsident abgelehnt hatte, sich gegenüber der islamischen Welt für die Mohammed-Karikaturen in einer Zeitung seines Landes zu entschuldigen, verstieß eklatant gegen diese Grundprinzipien der EU. Dass sich Erdogan am Ende seine Zustimmung doch hat abkaufen lassen, macht die Sache nicht besser. Sie weckt vielmehr neue Zweifel an der EU-Tauglichkeit der Türkei, weil sie eine Vorahnung vermittelt, wie sich das Brückenland zwischen Europa und Nahem Osten verhalten wird, wenn es erst Mitglied der Union geworden ist. Die Türkei sei nun einmal das zweitmächtigste Nato-Mitglied, rechtfertigt Erdogan seine Erpressungspolitik. Mit 100 Millionen Einwohnern schon in ein paar Jahren wäre die Türkei im Fall der Aufnahme in die EU deren bevölkerungsreichstes Mitgliedsland. Nach den jüngsten Erfahrungen fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, welche Ansprüche mit welchen Methoden Ankara davon ableiten würde. Erdogan hat seinem Land keinen Gefallen getan. Seit dem EU-Ratsbeschluss von 1993 zählt auch die "Aufnahmefähigkeit der EU" und damit ihre Kraft zu weiterer Integration zu den Voraussetzungen einer Neumitgliedschaft. Nicht erst der Fall Rasmussen spricht dafür, dass eine Aufnahme der Türkei die EU zu überfordern droht.
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