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Berliner Morgenpost: Innenpolitik Die Berliner Morgepost zum SPD-Wahlprogramm

Berlin (ots)

Mit ihrem gestrigen Show-Start im Berliner
Tempodrom, inszeniert mit ungewohnt dezenter Pomplosigkeit, haben die
Sozialdemokraten die Kunst der situativen Programmatik 
perfektioniert. Vor zehn Jahren, im Juni 1999, veröffentlichten der 
sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder und sein britischer 
Kollege Tony Blair ein Papier, das nach ihnen benannt war. Die 
Botschaft: Rechts und links gibt es nicht mehr, die Gesellschaft 
knubbelt sich im Zentrum, Wähler sind vor allem in der "Neuen Mitte" 
zu gewinnen, bei Menschen, die nicht mehr in der Industrie arbeiten, 
sondern mit dem Computer. Auf dem dritten Weg sollten SPD und 
Ökonomie versöhnt werden; dazu gehörten nach dem Willen des damaligen
Kanzleramtschefs Bodo Hombach ein Niedriglohnsektor, wenig 
Gewerkschaft und noch weniger Staat. Der Rotwein-und-Zigarren-Block 
strebte weg von der Kernklientel, dem kleinen Malocher.
Das SPD-Wahlprogramm 2009 bedeutet eine Kehrtwende. Offenbar 
empfindet die Partei den dritten Weg als Sackgasse und die Theorie 
vom Ende der Links-rechts-Pole als Illusion. Mindestlohn, 
Mitbestimmung, starker Staat - die SPD kehrt zurück auf den 
vorschröderschen Kurs. Vor einem Jahr noch galten solche Positionen, 
wie sie zum Beispiel das hessische Irrlicht Ypsilanti vertrat, als 
indiskutabel. Vergessen, dass Rot-Grün einen Teil jener Regeln 
beschloss, die die Finanzmärkte jedenfalls nicht zähmten, sondern 
eher entfesselten, dass Sozialdemokraten in Kontrollgremien von 
Banken und Unternehmen saßen, deren Gebaren sie heute zum Teufel 
wünschen.
Dass die SPD so rasch zu jenen Wurzeln zurückkehren kann, die sie 
fast aufgegeben hatte, verdankt sie einer Krise, die Angst und 
Systemskepsis bis weit in die Mitte der Gesellschaft getragen hat. 
Das Gefühl, "die da oben" haben sich aus der gesellschaftlichen 
Loyalität verabschiedet, hat auch die bürgerliche Mitte erfasst. 
Diesen Mainstream haben sich die Sozialdemokraten mit einiger 
Geschmeidigkeit zur Beute gemacht.
Der gute alte Lagerwahlkampf ist somit eröffnet. Die SPD-Strategen 
haben erkannt, dass das Ziel bis zur Bundestagswahl nicht unbedingt 
darin besteht, Wähler von der anderen Seite zu gewinnen, sondern das 
eigene, zuletzt schwer frustrierte Klientel aus der Schmollecke oder 
von der Linkspartei zurückzugewinnen. Offenbar gilt das Dogma nicht 
mehr, dass jede Stimme am linken Rand zwei Stimmen in der Mitte 
kostet. Inzwischen dürfte es umgekehrt sein.
Bleibt die Frage, ob die Rundum-großzügig-Versprechen sehr viel 
länger halten als bis zur Wahl. Zu situativer Programmatik gehört der
rasche, radikale Kurswechsel. Und quietschen Haushalt und 
Sozialsysteme in den kommenden Jahren wieder wie vor fünf Jahren, 
werden die Schenker von heute ihr Programm erneut ändern müssen. Es 
gilt: Auf Jahre ungezügelter Ausgaben folgen HartzV bis VIII.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original content of: BERLINER MORGENPOST, transmitted by news aktuell

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