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Berliner Morgenpost: Der Kurras, die Stasi und die Rechthaber - Kommentar

Berlin (ots)

Bilder, die wehtun: Ein Mann, schon alt, in den
80ern, prostet dem Fotografen zu. Er sagt wenige Sätze. Er kennt - 
das wird schnell klar - keine Reue. Näher liegt ihm offenbar das 
Selbstmitleid. Aus der Distanz könnte man ihn als den Prototypen des 
Dumpfdeutschen sehen, wer näher rangeht, erkennt vielleicht nur einen
armen Tor. Eine unselige Vergangenheit guckt uns da in die Augen und 
trinkt Bier. Es lohnt sich immer noch hinzuschauen, genau 
hinzuschauen, auch darüber zu streiten, wie so etwas eigentlich 
passieren kann.
Der Mann, der da sitzt, hat ja nicht nur einem anderen, damals 
jüngeren Menschen das Leben genommen. Einem Studenten, der, 
vielleicht nach Irrwegen, heute Vater sein könnte, ein Opa auch, den 
die Enkel lieben, und der womöglich glücklich wäre nach einem 
erfüllten Leben. Der Mann, der da sitzt und trinkt, hat mit an 
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch Dutzende anderer 
Menschen unglücklich gemacht, indem er sie oder ihre Liebsten 
verraten, ans Messer geliefert hat. Vielleicht hat er auch dafür 
gesorgt, dass viele, die sich damals in die Freiheit retten wollten, 
hängen geblieben sind im Stacheldraht der Diktatur.
Karl-Heinz Kurras hat dafür nie öffentlich gebüßt, höchstens mal 
heimlich, für sich allein, in ganz unglücklichen Momenten. Aber wie 
er da so sitzt, traut man ihm das auch nicht zu. Es würde ihn 
vermutlich überfordern, selbst das. Er ist ja nicht der Einzige 
dieser Kriegsgeneration, der sich schwer tut mit Selbstkritik. Da 
gibt es weiß Gott andere, hellere als Karl-Heinz Kurras.
Betrachten wir also lieber uns, die zugelassen haben, dass so viel 
Leid ungesühnt bleibt. Diesseits und jenseits der Mauer gab es 
schließlich eine ausreichende Menge Menschen, die zumindest jeweils 
Teile des Unrechts kannten, das auf Kurras' Kappe ging. Sie alle 
ließen ihn laufen anstatt ihn zur Rede zu stellen, feuerten ihn, hier
wie da, offen oder verdeckt, eher noch an mit ihren Reaktionen. Weder
im Westen, wo man sich ganz offensichtlich keinerlei Mühe gab, 
vielleicht doch einmal hinter die Fassade des vermeintlich braven, 
angeblich aus Notwehr um sich schießenden Polizisten Kurras zu 
blicken. Noch im Osten, wo man ja seit Jahrzehnten und ganz 
ungebrochen daran gewöhnt war, dass Späne fliegen mussten, wo im 
Sinne der jeweiligen Staatsmacht gehobelt wurde. Da kam es nicht an 
auf einen Toten mehr oder weniger. Schließlich hatte man ja Recht.
Dieser gut gepflegten Tradition schloss sich dann - jetzt wieder 
westlich der Mauer - auch die Studentenbewegung an. Auch deren 
führende Vertreter hatten ja, bei aller behaupteten Distanz zur 
Elterngeneration, die Wahrheit für sich gepachtet. Eine Wahrheit, die
schon wieder Mitläufer anzog und Feuerköpfe, von denen die 
hemmungslosesten am Ende auch zu Mördern wurden. Zu Tätern ohne Reue.
Wir, heute, hier, in einem endlich etwas besseren Deutschland, tun 
gut daran, diesen bizarren, uns aber immer noch sehr nahen Irrsinn 
sorgsam aufzuarbeiten, geduldig, ohne Rechthaberei, ohne Schaum vor 
dem Mund.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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