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Berliner Morgenpost: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit - Kommentar

Berlin (ots)

Die Parteien machen es den Bürgern heute noch
schwerer als ohnehin, zur Wahl zu gehen. Unbekannte Kandidaten, 
praktisch keine europolitische Aufklärung, mehr Test für die 
nationale Bundestagswahl als Ringen um den weiteren Weg im immer 
größer werdenden Europa. Vorbei die Faszination vom vereinten 
Kontinent ohne Grenzen, mit guter Nachbarschaft, einem gemeinsamen 
zollfreien Markt und einer gemeinsamen Stimme, die auf der Weltbühne 
Gehör wie Gewicht hat. Europa ist angekommen im Alltag der 
Normalität. Der löst keine Begeisterung mehr aus. Öfter als allen 
lieb sein kann ist schwer verständlich, was da in Brüssel und 
Straßburg uns alle betreffend entschieden wird. Dabei wird allzu 
schnell verdrängt, wie sich dieses Europa in den letzten 50 Jahren 
von einer Kriegs- und Krisenzone zu einer Friedenszone entwickelt 
hat.
Weder Demokratie noch Frieden sind Selbstverständlichkeiten. Um sie 
muss immer aufs Neue gerungen werden. Das gilt auch für die große 
europäische Idee der Aussöhnung und Gemeinsamkeit. Erst waren es die 
westlichen Nachbarn mit Frankreich an der Spitze, die Deutschland die
Hand zur Versöhnung entgegenstreckten. In den siebziger Jahren wurden
die von ihren Diktatoren befreiten Griechen, Spanier und Portugiesen 
auf dem Weg zur Demokratie und damit in die EU unterstützt. Nach dem 
Ende des Kalten Krieges kamen die vom Kommunismus befreiten östlichen
Nachbarn dazu; in einer vorerst letzten Kraftanstrengung die wiederum
durch einen Krieg geschundenen Balkanstaaten. So ist aus den 
verfeindeten, durch Ideologien wie Todesstreifen getrennten Europäern
wieder eine gemeinsame, der Demokratie verpflichtete Familie 
geworden. Ein Zusammenschluss, der allen nutzt, um den uns viele 
Regionen in der Welt beneiden.
Dies alles ist keine Selbstverständlichkeit. Und das sollte bedenken,
wer Zweifel hat, heute seine Stimme für das Europäische Parlament 
abzugeben. Es hat zweifellos noch immer nicht die Vollmachten 
gegenüber der EU-Kommission und den EU-Räten wie etwa der Bundestag 
gegenüber der Bundesregierung. Aber Einfluss und 
Kontrollmöglichkeiten des EU-Parlaments sind weit größer als weithin 
geahnt. Kein Gesetz, das die Umweltpolitik, Verkehr, 
Verbraucherschutz, illegale Einwanderung oder alle Fragen des 
gemeinsamen Binnenmarktes betrifft, kann ohne Zustimmung des 
EU-Parlaments in Kraft treten. Die Aufnahme neuer Mitglieder bedarf 
ebenfalls der Zustimmung der EU-Abgeordneten. Das wird irgendwann 
auch die Türkei betreffen. Und sollte der Lissabon-Vertrag in Kraft 
treten, bestimmt das EU-Parlament künftig die Innen- und 
Justizpolitik Europas mit.
Das EU- Parlament ist also längst keine Schwatzbude mehr. Viel 
stärker als die meisten ahnen, bestimmen seine Abgeordneten unser 
aller Leben mit. Es sollte niemandem egal sein, wer über seine und 
Europas Zukunft mitentscheidet. Deshalb lohnt sich heute der Gang an 
die Wahlurne. Allem EU-Frust zum Trotz.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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