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Berliner Morgenpost: Merkel bestärkt, Europa geschwächt - Kommentar

Berlin (ots)

Man könnte es sich leicht machen nach dieser
Europawahl und die gewohnt staatstragende Interpretation abliefern: 
Union verloren, aber Sieger. FDP erwartungsgemäß gewonnen. SPD am 
Boden, auch nicht ganz neu. Grüne auf hohem Niveau stabil. Und die 
Linke hält trotz allen internen Durcheinanders ihre eisernen Anhänger
bei der Stange. Unterm Strich, alles wie gehabt. Damit wäre die 
Sondersendung aus Brüssel beendet, Fortsetzung in fünf Jahren. Ob 
sich die Metro Arcandor schnappt oder die Scheichs nach Porsche 
greifen, das interessiert die Deutschen allemal mehr als das Treiben 
im fernen Brüssel. Fakt ist: EU steht für Egal-Union.
Und genau hier liegt das Problem: In dieser Europawahl ging es um 
alles, aber nicht um Europa. Nahezu jedes Wahlplakat führte in die 
Irre. Und die Signale der Wähler werden durchweg innenpolitisch 
interpretiert, im Hinblick auf die Bundestagswahl und das 
innerdeutsche Machtgefüge: Wie groß ist Merkels Kanzlerinnen-Bonus? 
Wo steht die SPD wirklich? Was ist die Seehofer-CSU wert?
Deutlicher als je zuvor haben wir uns selbst gezeigt, was wir von der
EU derzeit halten, nämlich nicht viel. Europa gilt im besten Fall als
langweilig, oftmals sogar als lästig. Seit 1989 fällt die 
Wahlbeteiligung kontinuierlich.
Zugleich aber führt die Politik konsensual ein großes Theater auf: 
Wir in Europa - so wichtig, so mächtig, so wunderbar 
zukunftsorientiert. Dieses Stück allerdings wird vor halb leeren 
Rängen aufgeführt. Ehrlich betrachtet zeigt diese Wahl vor allem 
eines: Europa hat ein mehrfaches Legitimationsproblem. Nur etwa jeder
siebte wahlberechtigte Deutsche hat die siegreiche Union gewählt, nur
jeder 25. hat sich für die kleineren Parteien entschieden.
Das zweite Legitimationsproblem: Die deutschen Europa-Politiker 
schaffen es nicht, mit ihren Inhalten durchzudringen. Wenn aber 
Abgeordnete auf dünner Stimmen-Basis für keine erkennbaren Themen 
stehen, bleibt die Frage, ob überhaupt noch die mehrheitlichen 
Interessen des Landes vertreten werden? Vielen Menschen kommt Brüssel
völlig zu recht wie ein Paralleluniversum vor, weit weg vom richtigen
Leben.
In Zeiten der Krise richtet sich das Interesse der Menschen ohnehin 
ins eigene Land; europäische Freunde sind im Kampf um Jobs mehr denn 
je Wettbewerber. In unsicherer Zeit aber, das lehren alle Wahlen, 
neigen die Bürger zu bewährten Kräften. So darf sich die Kanzlerin 
trotz deutlicher Verluste gerade für die CDU als Gewinnerin mangels 
Gegenwehr fühlen. Denn die Sozialdemokraten haben trotz des Wechsels 
von Beck zu Müntefering offenbar keine Strategie gefunden. Ähnlich 
ist es in Brüssel: Gegen einen britischen Premier auf Abruf, einen 
öligen italienischen Stenz und den Flummi aus Paris ist leicht 
glänzen. Angela Merkel also wird etwas beruhigter Richtung 
Bundestagswahl schauen. Europa ist damit allerdings auch nicht 
geholfen.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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