Berliner Morgenpost: Mangelnde Fantasie würgt die Zukunft ab - Kommentar
Berlin (ots)
Zyniker mögen eine gute Nachricht für Berlin erkennen. Die Hauptstadt, jahrelang der Bettelmann, steht mit ihren Finanzen inzwischen nicht mehr schlechter da als der Rest des Landes. Wenn der Bundesfinanzminister in zwei Jahren fast 160 Milliarden Euro neuer Kredite aufnimmt, sollte sich niemand über bescheidene 5,6 Milliarden aufregen, die sich Berlins rot-roter Senat leiht, um die Defizite zu decken. Aber so darf niemand argumentieren, dem das Wohl der Stadt am Herzen liegt. 5,6 Milliarden Euro neuer Schulden münden in 250 bis 300 Millionen zusätzlicher Zinsen, die jährlich anfallen. Zehnmal Klaus Wowereits Kunsthalle. Oder einmal die neue Landesbibliothek. Oder ein Drittel des Etats der Berliner Hochschulen, die wegen der unausgegorenen Senatspolitik finanziell weiter in der Luft hängen. Besorgniserregend ist nicht, dass SPD und Linke wieder Schulden aufhäufen. Der drastische Einnahmeschwund in Folge der Wirtschaftskrise lässt kurzfristig keinen anderen Ausweg zu. Umso dringlicher stellt sich die Frage, ob der Senat die richtigen Dinge auf Pump finanziert. Und da muss man schon fragen, ob Kunsthalle und Bücherei zu den Schicksalsprojekten der Zukunft zählen. Bisher hat sich die Kulturstadt Berlin auch ohne diese ganz gut entwickelt. Der Senat spart nicht in diesem Doppelhaushalt und verbrämt seine Untätigkeit mit dem Argument, die kriselnde Wirtschaft brauche die öffentliche Nachfrage. Der neue Finanzsenator Ulrich Nußbaum gab den Ritter, der den Kollegen fast 2,5 Milliarden abgerungen hat, um die sie gerne ihre Etats aufgebläht hätten. Den Kollegen schmeckt diese Attitüde des Neuen nicht. Sie vergessen jedoch, dass Nussbaum von Klaus Wowereit unterstützt wurde, solange es nicht um seinen eigenen Kulturetat ging. Solche Konflikte lassen Übles erwarten wenn es darum geht, die Stadt in der Krise wirklich besser aufzustellen. Für Schulen und öffentliche Gebäude ist aus dem Konjunkturprogramm des Bundes ein Schub zu erwarten. Ob die Kinder dann tatsächlich mehr lernen, steht dahin. Aber die größte Baustelle, der öffentliche Dienst, liegt brach. Der Personalabbau stockt, 2000 Menschen mehr als bisher kalkuliert hat die Stadt auf der Gehaltsliste. Die Frage, was sich die Stadt mit welchem Personal noch wird leisten können und welche Standards öffentlicher Dienstleistungen auch dauerhaft finanzierbar sind, wird nicht behandelt von Klaus Wowereit & Co. Die Ressorts arbeiten nebeneinander her, beim Klimaschutz, bei der Planung, beim Bemühen, ihre Organisation zu straffen und ihre Ausstattung auf den Stand der Technik zu bringen. Ein amtsmüder Wowereit gönnt sich und Berlin noch zwei Schmankerln, aber seinen Job als oberster Stadt-Manager verweigert er auch in der Krise. Besseres Management und mehr Ehrlichkeit sind aber geboten, wenn der Staat mittelfristig mit seinem Geld auskommen will. Die Zeche für die Fantasielosigkeit zahlen wir alle. Die Schulden von heute sind die schrumpfenden Spielräume von morgen - oder die höheren Steuern.
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