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Berliner Morgenpost: Alles vorschriftsmäßig - und doch so schädlich

Berlin (ots)

Dass Juristen nach Gesetzeslage Recht sprechen und
dabei des Bürgers Erwartung auf Gerechtigkeit oft zu kurz kommt, 
führt vielfach zu herber Enttäuschung. Sie ist nach der 
Wiedervereinigung von DDR-Bürgerrechtlern in den legendären Satz "Wir
haben Gerechtigkeit erwartet - und den Rechtsstaat bekommen" 
komprimiert worden. Politiker (und derzeit viele Manager) haben mit 
einer anderen Erfahrung zu leben: Nicht alles, was ihnen die internen
Vorschriften erlauben, ist politisch oder moralisch akzeptabel. Das 
jüngste Opfer dieser Unfähigkeit zur Abwägung, was im Grenzbereich 
gerade noch statthaft, der Glaubwürdigkeit der eigenen Person wie der
ganzen Polit-Kaste aber äußerst schädlich ist, heißt Ulla Schmidt.
Es mag sich ja bei großzügigster Auslegung der Dienstwagen-Verordnung
gerade noch am äußersten Rande des Erlaubten bewegen, was sich die 
SPD-Ministerin geleistet hat. Politisch und moralisch dagegen hat sie
keinerlei Nachsicht verdient. Wer in Zeiten höchster 
Staatsverschuldung größte Sparsamkeit fordert, wer seinen 
medizinischen Gegenspielern Habgier vorwirft und wer angesichts 
prekärer Gesundheitskosten den Bürgern engere Gürtel zumutet - der 
muss Vorbild sein. Der darf sich keinen Dienstwagen quer durch Europa
für zwei läppische, wohl bedacht konstruierte Termine nachfahren 
lassen. Der eine (Empfang beim Ortsbürgermeister) war überflüssig. 
Der andere (Info-Veranstaltung mit wahlberechtigten deutschen 
Rentnern) mehr dem nahenden 27.September geschuldet und damit
eher eine parteipolitische als eine dienstliche Notwendigkeit.
Frau Schmidt hat nach ihrer Rückkehr einiges zu erklären. Auch ihrem 
im tiefen Tal verharrenden Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier.
Dem hat eine Steuergeld verschwendende Parteifreundin gerade noch 
gefehlt. Von der Bestätigung gängiger Vorurteile gegenüber den 
Politikern ganz zu schweigen.
Warum eigentlich lernen selbst erfahrene politische Schlachtrosse 
nicht aus vergleichbaren Skandalen und Skandälchen der Vergangenheit?
Ex-Minister Scharping (Flugaffäre), Ex-Parlamentspräsidentin Rita 
Süssmuth (Dienstwagenaffäre), Lothar Späth (gesponserte Flugreise) 
oder Kurt Biedenkopf (Ikea- Rabattaffäre) - sie alle und noch einige 
mehr müssten doch wohl Mahnung und Warnung genug sein. Doch je länger
im Amt, desto größer wird offensichtlich die Distanz zum normalen 
Leben. Ein Minister kann sich nur noch schwerlich in die 
Alltagssorgen Otto Normalbürgers hineinversetzen. Auch deshalb, weil 
sein Büro alles für ihn regelt. Vom Einkauf über die Theaterkarte bis
zur pünktlichen Bestellung des Dienstwagens. Da wächst das Risiko, 
sich von den Realitäten des Alltags abzukoppeln - und parallel dazu 
der Glaube, sich dienstlich erlauben zu können, was eigentlich gar 
nicht mehr dienstlich zu begründen ist. Ulla Schmidt hat den ohnehin 
bedrohlichen Abgrund zwischen Regierenden und Regierten weiter 
vertieft. Dafür hat auch sie eher eine "Auszeit" als Verständnis 
verdient. Um wieder auf den Boden derer zurückzukehren, für deren 
Interessen sie doch eigentlich angetreten ist.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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