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Berliner Morgenpost: Die Krise ist nicht vorbei, sie versteckt sich nur - Leitartikel

Berlin (ots)

Vor ziemlich genau elf Monaten ging die Welt noch
unter. Die Lehman-Pleite markierte den Vorabend des Jüngsten Tages. 
Nichts werde bleiben, wie es ist, der ganze Erdball umgepflügt, so 
erklärten düster Politik und Wissenschaft. Alles müsse sich ändern, 
vor allem der Mensch, der gierige und verantwortungslose.
Und jetzt? Alles wieder prima. China brummt, Banken und Boni auch, 
und der Rest der Wirtschaft gleich mit. 0,3 Prozent Wachstum 
verheißen das Ende der Rezession. Und bald bauen sogar Russen mit 
Opel-Technik funktionierende Autos, auch wenn nicht ganz klar ist, 
warum der Magna-Deal, der schon vor Monaten als große Einigung 
verkauft worden war, noch mal drei Monate lang ausgekaspert werden 
musste. Ganz sicher aber ist bei den Verhandlungen zwischen Detroit 
und Sberbank alles nach den Regeln von Anstand und Redlichkeit 
verhandelt und vergütet worden. Wenn nicht, auch egal: Am Ende bürgt 
der deutsche Steuerzahler mit 4,5 Milliarden.
Seltsame Krise. So gut wie weg. Durfte die Erholung so schnell gehen?
Dann haben die Weissager aller Klassen und Länder im letzten Herbst 
mächtig übertrieben, als sie das Ende der herrschenden ökonomischen 
Ordnung ausriefen. Oder aber die Krise, diese tückische, ist noch gar
nicht vorbei, sondern versteckt sich nur.
Fakt ist: Wir leben nicht nur in einer Aufregungsdemokratie, sondern 
auch in einer hysterischen Ökonomie. Die Zahlen der Institute sind so
verlässlich wie die Wahlumfragen der Demoskopen - bestenfalls 
Momentaufnahmen.
Mögen einige Zahlen derzeit auch nach oben weisen und der Dax gleich 
mit - die Sinnkrise, die im vergangenen Herbst aufblitzte, ist nicht 
beendet, sondern hat noch gar nicht richtig angefangen. Die großen 
Problemfelder - Energie, Mobilität und Klima, Bildungs- und 
Armutsschere, unkontrollierte Bankster - sind nicht bearbeitet, 
sondern vertagt worden. Die Abwrackprämie hat der Automobilindustrie 
Luft verschafft, aber keine neue Richtung. Für eine Förderung des 
E-Mobils fehlt das Geld. Schutzschirme haben das Spargeld der Bürger 
gesichert, aber kaum eine Bank ist verschwunden. Landesbanken sind 
eben fürchterlich systemrelevant.
Krisen erzeugen Panik, aber auch die Chance für neue Richtungen, 
Schwerpunkte, womöglich gar mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. 
Diese Optionen wurden nicht genutzt.
Deutschland mag ordentlich in diesem Sturm gestanden haben, aber eben
nur gestanden. Die Absatzflaute der Autokonzerne wird ebenso kommen 
wie die Arbeitslosigkeit und mit dem größten Haushaltsdefizit aller 
Zeiten auch die nächste Kürzungsrunde bei den öffentlichen Ausgaben. 
Wir haben die Krise nicht bewältigt, sondern die Kosten nur auf das 
neue Jahrzehnt verschoben. Vorbei ist gar nichts.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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